Die wahre Koenigin
Moment lang beobachtete sie beide mit unverhohlener Aufmerksamkeit. Dann ging ein wissendes Lächeln über ihr Gesicht.
Am späten Nachmittag rüsteten die Königin und ihr Gefolge zum Aufbruch. Vor dem Abschied ließ Mary nach der MacAlpin schicken.
Meredith errötete verlegen, als sie die Bibliothek betrat und den Blick unwillkürlich zu dem Schrank schweifen ließ, in dem sie um ein Haar erstickt wäre. Warum musste die Königin sie ausgerechnet hier empfangen, am Ort ihres peinlichen Fehlschlags? Sicher erinnerte er auch die Königin an ihren missglückten Fluchtversuch.
Trotzdem nutzte Meredith die unwiederbringliche Gelegenheit, Mary Stuart ihre verzweifelte Lage klarzumachen. „Ihr habt Euch entschlossen, mich mitzunehmen, Majestät?“, fragte sie kühn.
Die Königin schüttelte den Kopf. „Nein. Ich würde niemals einem Freund meinen Willen aufzwingen. Was immer Brice beabsichtigt, ich vertraue ihm und bin überzeugt, dass er die richtige Entscheidung trifft.“
Meredith konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen.
„Aber ... bei Tisch habt Ihr doch ... “
„Bei Tisch habe ich mir auf Kosten meines Gastgebers einen Spaß erlaubt.“ Die Königin lachte. Dann bemerkte sie Merediths verzweifelten Blick und versuchte, sie zu beschwichtigen. „Ihr müsst eins wissen, Meredith. Obwohl Brice für sein aufbrausendes Wesen und seine Kampflust berüchtigt ist, ist er ein gerechter und ehrenwerter Mann. Auch wenn die MacKenzies seine erklärten Feinde sind, wird er dafür sorgen, dass Euch kein Leid widerfährt.“
Kein Leid? Meredith schwieg. Hatte Brice Campbell nicht genug Schaden angerichtet? Hatte er sie nicht brutal ihren Schwestern, ihrem Zuhause, ihren Schutzbefohlenen entrissen? Ganz zu schweigen von den Gefühlen, denen er sie aussetzte. Beängstigenden, neuen, nie gekannten Gefühlen.
Der Tanz. Sie war in seinen Armen dahingeschmolzen.
Der Kuss, dieser hauchzarte, harmlose Schmetterlingskuss. Er hatte ihr Herz fast zerspringen lassen. Lieber Gott im Himmel, was sollte bloß aus ihr werden?
Plötzlich fühlte Meredith sich von einer Welle der Verzweiflung erfasst. „Majestät, ich möchte nach Hause“, flehte sie.
„Ja. Nach Hause.“ Mary fühlte der anderen Frau ihren Wunsch nach. Wie oft sehnte sie sich selbst nach Frankreich zurück, dorthin, wo sie glücklich gewesen war. Nie wieder würde sie die Pracht und Heiterkeit des französischen Hofs erleben. Die Düsternis und Freudlosigkeit, die sich in Schottland seit dem Aufstieg des fanatischen Eiferers John Knox ausbreiteten, waren bedrückend.
„Ich bin überzeugt, dass Ihr bald in Eure Heimat zurückkehren werdet, Meredith. Aber solange Brice keine Entscheidung trifft, werde ich ihm nicht vorgreifen. Eure Zukunft liegt in seiner Hand.“
Mary erhob sich, und Meredith wusste, dass damit das Gespräch beendet war. Wäre sie ihren Gefühlen gefolgt, hätte sie sich der Königin in die Arme geworfen und um Hilfe gefleht. Aber ihr Stolz ließ es nicht zu. Sie knickste und verließ hocherhobenen Hauptes die Bibliothek, bevor Mary einen Diener rief und befahl, dass Brice Campbell sie in den Hof geleiten möge.
Als Brice ihr in den Sattel half, ließ Mary den Blick über die Menge gleiten, bis sie die junge Gefangene ausmachte. „Euer verhängnisvoller Irrtum wird Euch noch einiges Lehrgeld kosten, lieber Freund“, sagte sie, ohne Meredith aus den Augen zu lassen. „Ihr habt Euch da eine kleine Wildkatze eingefangen.“
Brice sagte nichts. Mary bemerkte seinen nachdenklichen Blick, obwohl er lächelte. „Lebt wohl, mein Freund. Ich hoffe, Euch bald in Edinburgh zu sehen.“
„Der Name Campbell wird zurzeit in den Lowlands nicht gern gehört.“
Marys Augen blitzten auf. „Ihr seid auch der Earl of Kinloch und damit Ritter der Königin und Mitglied ihres Rats.“ „Der Titel erlosch mit dem Tod meines Vaters“, gab Brice zu bedenken. „Ich bin schlicht und einfach Brice Campbell.“ Marys Stimme wurde weich. „Ihr seid schlicht und einfach einer meiner treuesten Freunde.“ In entschlossenem Ton fuhr sie fort: „Ganz gleich, was die Leute sagen oder denken. Ein Campbell ist im Haus der Königin stets willkommen.“ Sie lockerte die Zügel, und ihr ungeduldig tänzelndes Pferd fiel in Trab.
Die Jagdgesellschaft folgte der Monarchin über den Hof. Das Hufgeklapper wurde leiser, sobald der Trupp den Waldpfad erreichte. Und dann war die Schar zwischen den Bäumen verschwunden.
Als Brice sich umdrehte und ins Schloss
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