Die wahre Koenigin
Langsam, auf Zehenspitzen schleichend, entfernte sie sich.
„Versteh mich bitte“, flüsterte sie, während sie an einem Tisch im Wohnraum hastig ein paar Worte auf ein Stück Pergament kritzelte. Dann holte sie die Sachen, die sie in einem Schrank versteckt hatte. In aller Eile schlüpfte sie aus dem Nachthemd und zog die Reisekleidung an. Eine Kniehose, hohe Stiefel, ein safrangelbes Hemd, darüber die dunkle Tunika und einen schweren Umhang. In den enggeschnürten Hosenbund steckte sie einen Dolch, bevor sie den Degen an der Gürtelschlaufe befestigte. Ihr Haar versteckte sie unter einem Federhut.
Sie ergriff den Beutel mit den Resten des Abendbrots und warf sich ein Fell über die Schulter. Von der Tür aus sah sie noch einmal zu Brice hinüber. Sie hatten eine unvergessliche Nacht miteinander verbracht. Eine Nacht heißer Umarmungen und zärtlich geflüsterter Liebesworte und Versprechungen. Brice hatte geheimnisvolle Andeutungen gemacht, von wichtigen Plänen gesprochen, die ihrer beider Leben verändern würde ...
Oh, wie sie ihn liebte! Wie sehr sie ihn in den kommenden Tagen und Wochen vermissen würde. Aber sie musste gehen, ihr blieb keine Wahl.
Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie aus dem Zimmer huschte und die Treppe hinunterhastete. Statt durch den
Haupteingang über den Hof zu gehen, verließ sie das Schloss sicherheitshalber durch eine kleine Seitentür von der Küche aus.
Dicht an die Mauern gedrückt schlich sie zu den Ställen, wo sie einen starken schwarzen Hengst aufzäumte. Den Reisesack und das aufgerollte Fell schnallte sie hinter den Sattel.
Um die Patrouillen zu umgehen, die die Wege zur Burg bewachten, führte sie das Pferd durch das unwegsame Unterholz. Dann, als sie sich in sicherer Entfernung glaubte, stieg sie in den Sattel und gab dem Rappen die Sporen.
Brice genoss den schwebenden Dämmerzustand zwischen Wachen und Schlafen. Welch eine wundervolle, unvergessliche Nacht er mit Meredith verbracht hatte. Diese unbeschreibliche Frau steckte voller Überraschungen. Jedesmal, wenn sie zusammen waren, enthüllte sie ein wenig mehr von ihrer glühenden Sinnlichkeit. Wie eine aufblühende Rose, die sich zögernd öffnet, bevor sie ihre volle Schönheit verströmt.
Er hatte ein Wunder in sein Schloss geholt. Ein Kind, das seine Beschützerinstinkte weckte, einen Kobold, der ihn zum Lachen brachte. Eine Frau, die ihn mit ihrer Magie verzauberte.
In dieser Nacht hatte sie ihn so in den Sog ihrer wilden Leidenschaft gezogen, dass er zu dem Wichtigsten nicht gekommen war. Aber heute würde er es tun. In aller Form würde er um Merediths Hand anhalten. Und dann könnten sie über alles Weitere reden.
Brice streckte träge die Hand aus. Der Platz an seiner Seite war leer. Dabei brach der Tag gerade erst an. Warum musste Meredith so früh aufstehen, an einem so bedeutungsvollen Morgen?
Brice rollte sich auf die andere Seite und sog den blumigen Duft ein, der eine zärtliche Morgenstunde versprach. Gleich würde sich die Tür öffnen, und Meredith käme mit einem beladenen Tablett herein. Dampfender Tee, frisches warmes Gebäck, serviert von der schönsten, leidenschaftlichsten, zärtlichsten Frau Schottlands.
Das Laken war kalt.
Brice fuhr alarmiert hoch und sprang aus dem Bett. Er ging in den Nebenraum, und dort sah er das Nachthemd am Boden. Die Schranktüren waren halb geöffnet. Eine ungute Ahnung beschlich Brice. Er bückte sich nach dem Nachthemd, und während er sich unschlüssig im Raum umsah, fiel sein Blick auf das Pergament auf dem Tisch.
Liebster Brice,
ich muss zu meinen Schwestern gehen, denn sie brauchen mich. Bitte folge mir nicht. Gareth denkt, Du seist tot. Er soll in dem Glauben bleiben, zu Deiner Sicherheit.
In Liebe, M.
Ein Wutschrei entfuhr Brice. Einen Moment lang stand er wie gelähmt da und starrte fassungslos auf den Brief. Dann warf er das Nachthemd fluchend in eine Ecke, zerrte einen Überwurf aus dem Schrank und rannte aus dem Zimmer.
13. KAPITEL
Es regnete seit Stunden. Der dichte Regen durchdrang das Blätterdach und durchnässte Pferd und Reiterin.
Hinter einer Hügelkette stieg Nebel auf, unheimlich und gespenstisch. Dahinter erkannte Meredith schemenhaft die Ufer eines Sees, an den sie sich vage erinnerte. Auf dem damaligen Ritt nach Kinloch House waren sie hier vorbeigekommen.
Wenigstens stimmt die Richtung, tröstete Meredith sich. Doch wenn dieses schreckliche Wetter anhielt, so würde sie doppelt so lange wie geplant unterwegs
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