Die wahre Koenigin
sein.
Von einem hohen Felsplateau aus blickte sie zurück. Kein Zeichen, dass ihr jemand folgte. Trotzdem hatte sie ein unbehagliches Gefühl. Ihr war, als würde sie beobachtet.
Brice? Unmöglich. Selbst wenn er ihr trotz ihrer eindringlichen Bitte folgte, konnte er sie noch nicht eingeholt haben. Und er würde sie nicht aus einem Versteck beobachten, sondern sich ihr wutschnaubend in den Weg stellen und sie zur
Umkehr drängen.
Sie zog sich die Kapuze des Umhangs tief über die Stirn und schüttelte ihre Angst ab. Da war niemand, der sie beobachtete. Die Stille und die Einsamkeit ängstigten sie, der Nebel und das Unbekannte.
Nie hätte Meredith geglaubt, dass sie sich einmal so einsam fühlen würde. Ihre Gedanken schweiften in die glückliche Zeit ihrer Kindheit zurück. Ihre Mutter hatte ihr Liebe und Geborgenheit gegeben, und ihr Vater hatte mit kluger Umsicht die Familie und den Clan beschützt.
Sie dachte an die Zeiten der Kämpfe und Belagerungen, an den Tod ihrer Mutter und ihr es Bruders, an all das Unglück, das über ihre Familie gekommen war.
Aber Einsamkeit hatte sie nie gekannt. Auch in den schwersten Zeiten hatte die Wärme der Gemeinschaft sie getröstet und gestärkt.
Doch was hatte sie, Meredith, getan? Sie hatte vergessen, wozu ihr Vater sie erzogen hatte. Pflicht und Verantwortungsbewusstsein.
In ihrer Liebe zu Brice, in ihrer blinden Leidenschaft, hatte sie alles andere verdrängt. Sogar ihre kleinen Schwestern hatte sie ihrem Schicksal überlassen, die Menschen, die sie am meisten auf der Welt liebte.
Aber sie liebte auch Brice. Es war nicht nur körperliches Begehren, sondern tiefe, aufrichtige Liebe, die ihr ganzes Wesen erfüllte. Hatte sie nicht das Recht, einen Mann zu lieben?
Sie trieb das Pferd unbarmherzig voran, das nur widerwillig durch den dichten Nebel trottete. Ihre Gedanken kamen nicht zur Ruhe. Brice. Wann hatte es begonnen? Seit wann liebte sie ihn? Seit wann bedeutete er ihr so viel, dass sie sein Wohl über ihr eigenes stellte?
Das Pferd wieherte, als wollte es auf all die stummen Fragen antworten. Trotz ihrer kläglichen Stimmung musste Meredith lächeln. „Ich liebte ihn schon lange, bevor ich es wusste.“
Brice, der Barbar des Hochlands. Sein Stolz und Gerechtigkeitssinn hatten ihm diesen furchtbaren Namen eingebracht. Nur wenige wussten, was für ein wunderbarer und besonderer Mensch er war.
Unwillkürlich drängte sich Meredith der Vergleich mit ih-rem Vater auf. Alastair MacAlpin, genauso friedliebend und gerecht wie der ungestüme Mann aus den Highlands. Und beide Opfer von Hass und Machtgier.
Meredith zog die Zügel an und drückte dem Pferd die Hacken in die Flanken. Sie würde ans Ende der Welt reiten, bis sie sich für das Unrecht an den beiden Männern gerächt hätte.
In hektischer Eile trommelte Brice seine Männer zusammen, und innerhalb einer Stunde war der Trupp marschbereit.
„Was für eine Taktik hast du dir zurechtgelegt?“, fragte Angus Brice, als sie nebeneinander vom Burghof ritte».
„Überhaupt keine“, war die Antwort.
„Du hast keinen bestimmten Plan?“ Angus kannte den Mann nicht wieder, der sich bisher für jeden Kampf gründlichst vorbereitet hatte. Dies war ein neuer Brice Campbell. Ein von der Liebe geblendeter Krieger.
„Wir reiten so lange, bis wir Meredith finden.“ Brice ließ die Zügel locker, und sein Pferd fiel in Trab. Seine Gefährten konnten auf dem schmalen Waldpfad kaum Schritt halten. „Und dann werden wir ihre Schwestern aus MacKenzies Klauen befreien und sie nach Kinloch House bringen, bis das Land befriedet ist.“
„Klingt einfach“, meinte Angus, obwohl er sich seines Unbehagens nicht erwehren konnte. Dies ging alles viel zu schnell, nichts war vorbereitet, kein Mann hatte wie sonst seine Aufgaben zugewiesen bekommen.
„Ja, es ist einfach.“ Brice gab seinem Pferd die Sporen und preschte den anderen voraus. In der Tat war alles ganz einfach. So einfach, dass es niemals gutgehen konnte.
Aber Brice verscheuchte seine bösen Vorahnungen. Er hatte nur einen Gedanken, Meredith. Seine süße kleine Teufelin, seine schöne Geliebte, seine Frau.
Lieber Gott, beschütze sie, flehte er. Halte deine Arme über sie, bis ich sie gefunden habe.
Der Regen tropfte Meredith von den Wimpern und rann ihr über die Wangen. Seit Stunden ritt sie nun schon durch dieses unbekannte Land. Sie hatte gehofft, Orientierungspunkte wiederzuerkennen. Doch da sie diesen Weg nur einmal und den größten Teil im Dunkeln
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