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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Gras niederließ, zitierte sie:
     
    »O Täler weit, o Höhen
    O schöner grüner Wald
    Du meiner Lust und Wehen
    Andächt’ger Aufenthalt!«
     
    Eine Rummelplatzdame, die Eichendorff kannte. In Mieshof hatte Maud ein unauffälliges graues Kleid getragen, sicher, um alle Aufmerksamkeit auf das bunte Kasperle zu lenken, hier trug sie einen gelben Sari mit orangefarbenen Mustern, die Farben zogen Bienen und Wespen an, Maud verscheuchte sie nicht.
    Ich hatte mich so gesetzt, daß ich die Sonne im Rücken hatte, um sie beobachten zu können. Jetzt wirkte sie nicht mehr wie fünfzig. Gewiß, sie hatte dunkle Augenringe und tiefe Falten, aber ihr Hals, dieses Wahr-Zeichen für das Alter einer Frau, war fast makellos glatt, und wenn sie lachte, hatte Maud einen geradezu mädchenhaften Charme.
    Sie bestand darauf, daß zuerst ich erzählen sollte, von meiner Arbeit, und sie stellte präzise Zwischenfragen, sogar zu Sendungen, die vor Jahren gelaufen waren, so daß ich große Mühe hatte, mich zu erinnern. Sie schien jede Sendung von FOKUS gesehen zu haben.
    »Und Sie«, sagte ich schließlich, »was haben Sie gemacht, Maud? Sie sind doch nicht unter fahrendem Volk großgeworden.«
    »Stimmt«, sagte sie, »das mache ich wirklich noch nicht lange.«
    »Und vorher?«
    »Nichts, buchstäblich nichts. Gefaulenzt, den ganzen Tag spazierengegangen und geschwommen, ferngesehen und gelesen, meiner Kindheit nachgesonnen – à la recherche du temps perdu.«
    Proust kannte sie also auch. Offensichtlich sogar im Original. Aber sie schien eine Deutsche zu sein, der mundsprachlichen Färbung nach, die gelegentlich aufblitzte, aus Schwaben.
    »Und wo?« fragte ich.
    »Ach, irgendwo.«
    »Frankreich«, tippte ich. »Oder Belgien?«
    »Warum nicht Italien oder Deutschland?« fragte sie zurück.
    »Weil Sie offensichtlich mehr als Schulfranzösisch beherrschen.«
    »Warum wollen Sie etwas über mich erfahren?«
    »Sie interessieren mich.«
    »Wieso? Eine Puppenspielerin, die über die Dörfer tingelt …«
    »Gut, sprechen wir davon. Woher haben Sie das Kasperle?«
    Ihre Miene versteinerte. »Sie sind nicht zufällig nach Mieshof gekommen, nicht wahr? Wer hat Sie auf meine Spur gesetzt?«
    »Niemand«, versicherte ich, »es war reiner Zufall.« Ich erzählte ihr, wie es dazu gekommen war, sie blickte mich mißtrauisch an.
    »Ich glaube, das ist nur einer Ihrer Tricks«, sagte sie. »Sie arbeiten mit allen Tricks für Ihre Sendungen, das weiß ich.«
    »Stimmt. Aber ich schwöre, daß ich Ihnen die Wahrheit gesagt habe. Bitte, glauben Sie mir, Maud. Es ist mir wichtig, daß Sie mir glauben.«
    »Warum?«
    »Weil ich hoffe, daß Sie bei FOKUS mitmachen.« Ich entwickelte ihr meine Idee.
    »Ja, das könnte ich mir gut vorstellen«, sagte sie, »aber es geht nicht. Ich habe Berührungsängste, verstehen Sie? Ich bekomme Angst, sobald mehr als zwei Menschen in meiner Nähe sind.«
    »In Mieshof waren über hundert um Sie herum. Nur hundert. Viel zu wenige für das, was Sie bieten.«
    »Nicht in Tuchfühlung. Vielleicht kennen Sie das nicht, Herb, aber Artisten sind keine Showstars; zwischen Artist und Publikum bleibt so etwas wie eine unsichtbare Schranke, niemand kommt mir zu nahe. Ich könnte in keinem Studio arbeiten.«
    »Wir können …«
    »Nein«, unterbrach sie, »ein für allemal, nein.«
    Was war los mit ihr? Kein Artist der Welt würde ein solches Angebot ausschlagen. »Dann verraten Sie mir, woher Sie das Kasperle haben«, sagte ich. »Haben Sie es selbst konstruiert? Können Sie mir eine zweite Puppe bauen? Ich bin ganz versessen darauf, solch ein Kasperle in meine Sendung einzubauen.«
    Sie schwieg.
    »Sie haben es gestohlen?«
    Maud wandte den Blick ab.
    »Deshalb haben Sie Angst vor der Polizei«, sagte ich. »Deshalb wollen Sie nicht bei mir auftreten.«
    Sie schien völlig versunken in den Anblick einer Biene auf ihrem Sari.
    »Ich könnte das in Ordnung bringen«, sagte ich. »Früher oder später findet der Besitzer des Kasperles Sie doch. Ich nehme an, die Puppe wurde nicht in einer Firma hergestellt, sondern von einem Hobbybastler, sonst wäre sie längst auf dem Markt.« Maud saß vorgebeugt da, die gefalteten Hände verkrampft zwischen den Beinen.
    »Lassen Sie sich helfen, Maud! Sie müssen doch in ständiger Angst leben. Ich werde den Konstrukteur auszahlen. Oder beteiligen …«
    »Hören Sie doch auf«, schrie sie, »es geht nicht.«
    »Warum? Wer ist es? Ich werde Sie nicht verraten, das verspreche ich. Ich kann ja

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