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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Mann seinen Samen verkaufen darf, muß jede Frau das Recht haben, über ihre Eizellen und über ihre Gebärmutter zu verfügen. Es ginge doch nur darum, einen längst bestehenden Zustand zu legalisieren. Liefen nicht schon Hunderte von Kindern herum, deren Väter nicht die wahren Väter, deren Mütter nicht die leiblichen Mütter seien? Warum nicht den bedauernswerten Frauen, die keine Kinder bekommen könnten, legal helfen? Warum nicht armen Frauen so eine Chance geben, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen? Warum nicht Mutterschaft als eine gesellschaftlich nützliche Dienstleistung anerkennen?
    Auch ich war damals vehement für die Legalisierung eingetreten. Praktiziert wurde es ohnehin, durch Legalisierung konnten die unwürdigen Zustände auf dem schwarzen Muttermarkt beendet werden. Vor Jahren hatte ich meine Meinung geändert. Als bekannt wurde, wie hoch die Selbstmordrate bei den Mietmüttern war. Ich hatte mit Dutzenden gesprochen, fast alle waren psychisch zerbrochen, selbst die, die jetzt Familie hatten und ein eigenes Kind. Kaum eine hatte es verkraftet, Kinder zu bekommen und wegzugeben, viele waren dem Alkohol oder den Drogen verfallen. Aber Maud war anders. Bestimmt keine Drogenabhängige. Nicht einmal Alkoholikerin.
    »Das ist doch nicht alles«, sagte ich.
    »Raten Sie, wie oft ich schwanger war.«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Sie würden es nie erraten. Über dreißigmal.«
    »Das, das verstehe ich nicht«, stotterte ich.
    »Das ist auch kaum zu verstehen. Kaum zu glauben.« Sie kippte den Wein in einem Zug hinunter. »Im Dienste der Wissenschaft.«
    »Der Wissenschaft?« fragte ich fassungslos.
    »Sie glauben mir kein Wort, was? Aber es ist die Wahrheit! Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Ich weiß nicht, wie viele Kinder ich in diese erbärmliche Welt gesetzt habe. Vierzig, fünfzig, sechzig? Es waren viele Mehrlingsgeburten dabei.« Sie stand auf, zog ihren Kittel hoch. Ihr Bauch war voller Narben. Gerade, feine, gut verheilte Operationsnarben, die sich dicht nebeneinander vom Slip zum Nabel zogen.
    »Kaiserschnitt«, sagte sie, »siebzehnmal. Die anderen habe ich normal geboren. Normal!« Sie ließ den Kittel fallen, spuckte aus. »Pervers ist es. Widerlich. Unerträglich. Ein Alptraum. Jede Nacht habe ich Alpträume. Ich nehme die stärksten Schlaftabletten, und trotzdem, Herb, spätestens am Morgen erinnere ich mich an meine Träume. An die großen Augen, die traurigen, hilflosen Gesichter, die mich anstarren und ›Mutter‹ schreien. Ich weiß, das sind nur Ausgeburten meiner Phantasie. Man hat dafür gesorgt, daß ich nie eines der Kinder zu Gesicht bekam.« Sie schwieg unvermittelt, ließ sich ins Gras fallen, schüttelte traurig den Kopf. Mit einem Schlag sah sie wie eine alte Frau aus. »Monster«, murmelte sie. »Wahrscheinlich waren es allesamt Monster.«
    »Bitte, beruhigen Sie sich, Maud.« Ich legte die Hand auf ihren Arm.
    Eine Verrückte? Aber da waren die Narben. Ich wartete, bis sie wieder ruhiger atmete.
    »Warum«, fragte ich dann, »warum haben Sie nicht aufgehört?«
    »Weil ich nicht konnte.« Sie lachte bitter. »Ich fühlte mich ja wohl, sauwohl. Solange ich schwanger war. Die Pause nach der Geburt war entsetzlich. Ich habe die Ärzte angebettelt – ich war nur glücklich, wenn ich schwanger war, verstehen Sie?«
    »Nein.«
    »Man hatte mich so konditioniert! Schon als Frank mich zum Arzt brachte, um meine Tauglichkeit untersuchen zu lassen – das weiß ich heute, damals hatte ich keine Ahnung. Ich wunderte mich nicht einmal, daß ich einen Fünfjahresvertrag bekam, ich unterzeichnete ihn, als wäre das schon immer mein sehnlichster Wunsch gewesen. Ich bin Frank sogar um den Hals gefallen vor Glück. Noch am gleichen Tag brachte er mich in das Institut.«
    »Ein Institut?«
    »Ich dachte zuerst, es sei ein Sanatorium. Oder ein Hotel. Traumhaft, wie im Film: eine riesige Halle mit Palmen, ein erstklassiges Restaurant, Spielzimmer, Sauna, Schwimmhalle und Swimmingpool, eine große Bibliothek und Videothek, ein herrlicher Park, ich bekam ein helles, freundliches Appartement, das ich mir selbst einrichten durfte – wir sollten uns ja wohl fühlen.«
    »Es waren noch mehr Frauen dort?«
    »Zwanzig bis dreißig, das wechselte. Ich blieb am längsten von allen, ich war besonders geeignet.«
    »Durften Sie das Sanatorium verlassen?«
    »Ich wollte nicht. Sobald ich das Tor hinter mir ließ, bekam ich panische Angst. Ich mußte schnell wieder zurück.« Sie

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