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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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der Zugspitzbahn hinunterfahren wollte. Als die Nacht hereinbrach, ging ich noch einmal zum Observatorium und erfuhr, daß Weißenbacher längst weg war. Der Mann mit dem Hunderter auch. Und inzwischen die letzte Seilbahn.
    Das Hotel war ausverkauft. Ich durfte die Nacht in einem Sessel in der Halle verbringen, nach Restaurantschluß, versteht sich, schon vor Sonnenaufgang stand ich wieder draußen, kreuzlahm, übernächtigt und bibbernd, um die erste Gondel abzupassen, was tut man nicht alles für seinen Job.
    Weißenbacher kam auch nicht mit der zwölften Gondel. Für einen zweiten Hunderter verriet mir der neue Wachmann, daß er die ganze Woche nicht mehr kommen würde, und für einen dritten Blauen erfuhr ich, wo ich Weißenbacher erreichen konnte: in seinem Haus in Traunstein. Frierend und fluchend brach ich auf …
    Jetzt, nach ausgiebigem Frühstück und halbstündigem Sonnenbad im Vorgarten des Ratscafes, fühlte ich mich wieder fit. Dieses Mieshof war ein blitzsauberes Städtchen, das nicht nur am Markt gepflegte alte Häuser besaß, es machte Spaß, durch die engen Gassen zu schlendern. Plötzlich stieß ich auf eine Menschenmenge, meist Kinder und Alte, die sich lachend und juchzend um ein kleines Podium drängten, einen Autoanhänger, der zur Bühne geworden war, ein Kasperletheater, wie die kakelbunte Schrift verriet:
     
    Kasperle ist wieder da!
    Maud und ihr sprechender Kasper.
     
    Kindheitserinnerungen blitzten auf. Jahrmarkt, Rummel. Roch es nicht nach Zuckerwatte und gebrannten Mandeln? Aber auf dem kleinen Platz stand nur der Autoanhänger und davor ein ziemlich abgetakelter Wohnwagen, ein 97er FORDMOBIL.
    Ich war im Nu eingefangen, verzaubert, obwohl es anders war als das Kasperletheater, das ich aus meiner Kindheit kannte. Keine Handpuppen, die in die Kulisse gehalten wurden, so daß man die agierenden Spieler nicht sah, hier gab es keine Kulissen und nur einen Akteur, Maud, eine Frau um die Fünfzig. Sie saß auf dem Podium, hielt den Kasper, eine babygroße Puppe mit überdimensionalem Kopf, auf dem eine schellenbesetzte bunte Mütze thronte, mit der linken Hand und unterhielt sich mit ihm, und die Puppe antwortete frech, vorlaut, dummdreist und witzig, eben wie ein Kasperle. Diese Maud mußte eine ausgezeichnete Bauchrednerin sein.
    Noch erstaunlicher war, wie sie mit der Puppe hantierte. Kasperle bewegte sich, als sei er lebendig. Seine Arm- und Körperbewegungen mochte Maud ja mit der Hand dirigieren, die sie in den langen Flickenrock der Puppe gesteckt hatte, wie aber schaffte sie es, daß Kasperle eine richtige Mimik zeigte, daß er sogar Finger, Mund und Augen bewegte? Dieser Kasperle mußte ein Miniroboter sein, eine raffinierte Konstruktion mit Mikrochips und Servolenkungen. Das wäre etwas für Pierre, dachte ich, Pierre suchte ständig Attraktionen für seine EUROSAT-Show, und diese Frau war es wert, einmal in Europas beliebtester Fernsehsendung aufzutreten.
    Dann geschah etwas, das selbst einem so abgebrühten Burschen wie mir den Atem verschlug. Maud und Kasper hatten die ganze Zeit mit einem Ball gespielt, hatten sich mit den Antworten einen gelben Tennisball zugeworfen, jetzt gab Maud dem Kasperle zwei weitere Bälle, und er jonglierte damit! Dann sogar mit fünf Bällen. Dieser Kasperle war eine kleine Sensation.
    Es war das Ende der Vorstellung. Kasperle breitete graziös seine Arme aus und machte eine tiefe Verbeugung. Alle klatschten begeistert, schrien nach einer Zugabe, doch Maud schüttelte den Kopf.
    »Kasperle ist müde«, sagte sie. »Nicht wahr, Kasperle?«
    »Entsetzlich müde.« Es riß den Mund weit auf und gähnte herzzerreißend. »Ich will ins Bett. Und vorher will ich einen Bonbon.«
    »Aber Kasper«, sagte Maud, »Bonbon lutschen macht schlechte Zähne.«
    »Oh!« Kasperle zog einen Flunsch. »Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte.«
    »Was meint ihr?« fragte Maud die Kinder. »Soll ich ihm einen Bonbon geben?«
    »Ja«, tönte es im Chor, am lautesten schrie eine Oma vor mir.
    »Nun gut«, sagte Maud, »dann soll er ausnahmsweise einen bekommen.«
    »Dankeschön!« rief Kasperle und verabschiedete sich mit Handküssen von den Zuschauern. Maud nahm ihn wie ein Kind in den Arm. Sie stieg von der Bühne herab und hielt eine Messingschale in die Menge. Fast alle gaben etwas, trotzdem konnte es keine große Einnahme sein, man hörte deutlich die Münzen in die Schale fallen, und als sie in meine Nähe kam, sah ich, daß fast nur Groschen und Fünfziger in der Schale

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