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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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richtete sich auf, sah mich an. »Fast dreißig Jahre habe ich dort verbracht.«
    »Haben Sie in diesem ›Institut‹ gearbeitet?«
    »Das durften wir nicht. Wir durften den Komplex nicht einmal betreten. Wir hatten auch kein Bedürfnis danach. Wir blieben in unserem Bereich. Nicht einmal neugierig waren wir, haben nie miteinander darüber gesprochen. Es war, als existierte das andere überhaupt nicht, dabei lag der Komplex nur ein paar hundert Meter entfernt.«
    »Was haben Sie denn die ganze Zeit getan?«
    »Gefaulenzt, das sagte ich doch. Es gab nur wenige feste Termine – Untersuchungen, Gymnastik, die Essenszeiten –, sonst konnte man tun und lassen, was man wollte. Sie haben es ja gemerkt, ich habe viel ferngesehen. Und gelesen. In den ersten Jahren habe ich mein Abitur nachgemacht im Fernkurs, dann sogar studiert, Germanistik, Romanistik, Geschichte, Elektronik, nichts zu Ende; ich hatte ja Angst, zu den Prüfungen zu fahren.«
    »Bekamen Sie Besuch?«
    »Wen denn? Frank? Ich habe ihn nie wiedergesehen.«
    »Und die anderen Frauen?«
    »Auch nicht. Das waren alles Frauen wie ich, ohne Anhang, ohne Familie. Ich weiß auch nicht, ob man Besucher eingelassen hätte.«

    »Das Gelände war abgeschlossen?«
    »Rundum zog sich eine hohe Mauer mit einem Drahtgitter darauf, vermutlich war es elektrisch geladen, vor der Mauer ein breiter, immer frisch geharkter Streifen, den man nicht betreten durfte.«
    »Innen oder außen?«
    »Auf beiden Seiten.«
    »Elektronische Alarmanlagen, Infrarotstrahler?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Wachen, Patrouillen?«
    »Vielleicht draußen. Ich kenne nur die Wachen am Tor.«
    »Uniformierte? Was für Uniformen trugen sie? Waren sie bewaffnet?«
    »Ich glaube nicht. Es waren freundliche ältere Männer in dunkelgrauen Anzügen – ich merke, Sie wissen längst, was für ein Institut das war, nicht wahr?«
    Ich sagte nein, alles wehrte sich in mir gegen meine Vermutungen. Nichts als Ausgeburten einer krankhaften Phantasie, wehrte ich mich, Spinnereien einer Geistesgestörten, die zu viele Horrorfilme gesehen hat und sich nun damit identifiziert. Wie oft schon waren Leute mit verrückten, absurden, entsetzlichen Geschichten an uns herangetreten, die unbedingt in FOKUS entlarvt werden müßten, und fast immer hatten sie sich als Phantasieprodukte herausgestellt. Fast. Und Maud war nicht zu mir gekommen …
    »Ja«, sagte sie, »in diesem Institut werden genetische Experimente gemacht. Genmanipulation am Fötus. Wir waren nur dazu da, sie auszutragen. Lebende Gebärmaschinen. Eine künstliche Gebärmutter gibt es ja noch nicht.«
    »Wo«, sagte ich, »wo soll das gewesen sein?«
    »Irgendwo in Europa.«
    »Genmanipulation ist überall in Europa verboten, alle Staaten haben die UN-Konvention unterzeichnet.«
    »Wäre es das erste Mal, daß etwas verboten ist und trotzdem heimlich getan wird?« fragte sie zurück. »Wie oft haben Sie in FOKUS …«
    »Wo?« unterbrach ich sie hart. »Sagen Sie mir, wo dieses Institut sein soll.«
    »Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. Frank muß mir ein Schlafmittel gegeben haben, bevor er mich hinbrachte, ich wachte erst auf, als wir schon vor dem Portal standen.«
    »Und als Sie das Institut verlassen haben – wie? Wieder unter Betäubung?«
    »Nein, aber nachts und im Kofferraum eines Autos.«
    Ihre Story wurde immer wilder. Und unglaubwürdiger. »Dann beschreiben Sie mir die Landschaft, das Klima. In welcher Sprache wurde dort gesprochen, welche Fernsehprogramme haben Sie empfangen, welche Zeitungen bekommen? An welchen Universitäten wollen Sie Ihre Fernstudien gemacht haben, wenigstens das werden Sie doch wissen, oder?«
    »Sie glauben mir nicht.«
    »Nein.«
    »Ja«, seufzte sie, »ich habe keine Beweise.«
    »Was ist mit dem Vertrag, den Sie unterschrieben haben wollen?«
    »Der ist dort deponiert.«
    »Ihr Honorar natürlich auch?«
    »Nein«, sagte sie wütend. »Zumindest sollte es auf ein Konto in der Schweiz überwiesen werden. Ich habe nie versucht, etwas abzuheben. Weil ich doch heimlich verschwunden bin und …«
    »Und was?«
    »Hören Sie, Herb, Sie müssen mir nicht glauben. Lassen wir es, ja?«
    Daß sie jetzt plötzlich aufgab, irritierte mich. Das war nicht der Punkt, an dem ein Simulant aufgeben würde. War doch etwas an ihrer Geschichte? Immer wieder flammten Gerüchte über Geheimkliniken auf, in denen mit menschlichem Genmaterial manipuliert würde, über Experimente mit den ›freien Embryonen‹, die bei den legalen

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