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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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zurückgekommen.
    »Aurelian, Obi; wo ist sie?«
    »Selbst für dich ist das eine einzigartig dämliche Frage.«
    Schatten in der allumfassenden Helligkeit.
    »Aurelian, tu etwas! Hol sie zurück! Sofort! Hol sie auf der Stelle zurück!«
    Seine schönen Hände tanzen über die Computermodule. »Glaubst du, ich versuche es nicht? Umkehrungsphase, möglicherweise …« Das Energienetz zittert vor Spannung, schüttelt das Gebäude wie ein Hund eine Ratte.
    »Aurelian, was geschieht hier?«
    »Halt den Mund! Halt bloß den Mund!« Das Energienetz heult auf, als Aurelian den Befehl eingibt, daß es noch mehr Energie aus dem Nachrichtenstromnetz abziehen soll. Die siebeneckige Fläche aus Überlicht flimmert violett und indigoblau.
    »Aurelian, du hast dieses Ding gebaut, du weißt, was es kann.«
    »Und. Ich. Weiß. Auch.« Aurelian schreit, während er einen Befehl nach dem anderen in seinen Computer eingibt. »Was. Es. Nicht. Kann.«
    Elektrizität wird zischend ausgespuckt. Draußen im Regen blaue und gelbe Blitze. Das Heulen ebbt ab zum dumpfen Dröhnen, einem Summen, einem Brummen von Strom. Der Materietransmitter ist ununterbrochen blau.
    »Ein paar Energieschalen sind durchgebrannt«, sagt Aurelian. »Verloren. Ich hab’s dir gesagt, ich habe dir die Wahrscheinlichkeit genannt. Übermütige Jugend. Ich wasche meine Hände von dir rein.« Er läßt sich wieder von seinen Schatten vereinnahmen. Zed verharrt vor dem Teleporter und starrt auf die einzige Stelle, die ihr Auge des Glaubens nicht sehen kann. Nichts. Letztendlich ist es nichts. Obi ist jetzt nichts, und das ist gut so. Zed sind alle gleichgültig. Sie ist frei. Und sie freut sich sehr. Nach einer halben Stunde kommt Aurelian zurück, um den Transmitter auszuschalten.
    Und von zweien ist eine geblieben …
     
    Magere Tage im Barry-O. Seit das Mädchen verschwunden ist. Schade. Reintegrations-Versagen. Sie kommen einfach nicht mehr. Schisma, ein Abfallen der Gläubigen; in seiner alten Apathie eines fetten Dämonen ist es Aurelian gleichgültig; es ist zwanzig Jahre her, daß er sich aus seinem kleinen Königreich auf die Straße begeben hat, warum sollte er sich darum scheren, was die Kinder der Privilegierten Meilen über seinem Kopf treiben? Das einzige, was er vermißt, ist das Einkommen, das er durch sie hatte. Seit sie aufgehört haben, durch die Gassen und Straßen zu stürmen, um Erleuchtung nach seiner Art zu finden, haben einhundertundfünfzig Jahre Fleisch wieder ihr volles Gewicht angenommen. Ihm fehlt dieses neue, gute Zeug, Stoff in Company-Qualität, mit dem Wachstumsfaktor versetzt, oder wie sie das nannten. Das Gedächtnis läßt nach. Neuronen sterben ab und werden nicht ersetzt. Über den Verlust einiger Erinnerungen ist er froh. Dieses Mädchen, bei dem die Reintegration versagte, er kann sich nicht an ihren Namen entsinnen, ihr Gesicht, ihren Körper. Es sind kaum noch genügend synthetische THS übrig, nachdem er seine Freunde, die Messerstecher, ausbezahlt hat (und sind sie, werden sie, können sie überhaupt jemals Freunde sein oder nur einwandfrei verkleidete Parasiten?), um ihn am Ticken zu halten. Doch für seine gläubige Lieferantin sind diese schlechten Zeiten die allerschlechtesten.
    Gläubige Lieferantin. Sie wird ihn durch diese hungrigen Jahre bringen, bis dort oben eine neue Generation herangewachsen ist, desillusioniert und gleichgültig, und seine Dienste wieder benötigt. Bis dahin wird er auf ihre Stimme lauschen, die von den unteren Ebenen her zu ihm heraufruft: »Einen Augenblick, eine Minute, eine Prise einen Joint einen Schuß deiner Reinheit für eine Seele, die es dringend braucht.« Regelmäßig und gläubig bringt sie ihm ihre kleinen Quentchen Schwarzmarkt-THS. Er fragt sie nicht, wie sie es auftreibt, obwohl er ahnt, wie ein Kind der Corporadas, das aus dem Himmel gefallen ist, seinen Lebensunterhalt drunten im Barry-O verdient. Er zwingt das Leben in die alten ausgetretenen Bahnen; es ist zu lange her, daß er sich das letzte Mal eine gründliche Überholung hat leisten können, und sie schält ihre Schichten von wasserdichter Straßenkleidung ab und steht nackt vor ihm, dem blauen Plastikfläschchen in der zitternden Hand. Früher war sie schön gewesen. Das Leben im Barry-O hat seinen Tribut gefordert und ihr die Schönheit genommen, Gramm für Gramm, Cruzeiro um Cruzeiro. Der äußere Rahmen ist geblieben, das kann niemand wegnehmen, die Flächen und die Rundungen und die Winkel, doch das Licht, das

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