Die wahre Lehre - nach Mickymaus
klatschnaß am Körper klebte. »Ihnen hingegen scheint sie überhaupt nichts anzuhaben«, sagte ich.
»Hm, nein, das stimmt nicht. Das ist das Bemerkenswerte an Tweed, man sieht keine Flecken.«
»Aber …«
Er legte mir eine Hand auf den Arm und bedachte mich mit einem väterlichen Lächeln, als er sagte: »Natürlich empfindet man die Hitze. Aber das wichtigste ist, daß man es nicht sieht, wissen Sie. Das wäre ein schlechtes Vorbild.«
Vor meinem geistigen Auge tauchte das Bild von G. Gordon Liddy auf, dessen Hand sich in einer Kerzenflamme in einen gut durchgebratenen Hamburger verwandelte. Ein schlechtes Vorbild? Für mich?
»Wo haben Sie diesen Trick gelernt?« fragte ich.
Ein breites Grinsen, eine undeutliche Geste, mit der er den gesamten geheimnisvollen Osten beschrieb. »In Indien, glaube ich. Ich war dort Verwalter, im Dienste der Krone.«
Ich rechnete im Kopf nach. Indien war vor über vierzig Jahren unabhängig geworden, und Bullivant sah kaum alt genug aus, daß er im Zweiten Weltkrieg hätte Rekrut sein können. Im äußersten Falle konnte er ein guterhaltener Mittsechziger sein …
»Haben Sie in Indien Erfahrung mit geistiger Disziplin gemacht? Vielleicht Yoga gelernt?«
Bullivant sah mich an, als hätte ich ihm gerade ernsthaft eine Reise zum Mond auf einem fliegenden Teppich vorgeschlagen. Ich hatte das Gefühl, hoffnungslos amerikanisch zu sein.
»O nein, mein Bester. Nichts dergleichen. Schließlich hätte das bedeutet, sich den Eingeborenen anzugleichen. Es blieb alles streng britisch, seien Sie versichert. Es war die Art, sich in allen Situationen zivilisiert zu verhalten, niemals die Würde zu verlieren, wissen Sie. So waren wir, durch und durch.«
Mehrere Wochen lang sah ich Bullivant mal hier, mal dort, im Museum, in verschiedenen Pubs und Teehäusern im Viertel und gelegentlich auch auf der Straße. Wir tauschten die üblichen Höflichkeitsformeln aus, erkundigten uns jeweils nach der Arbeit des anderen und sprachen über unsere Angelegenheiten in äußerst unverbindlichen Gemeinplätzen. Tatsache ist, daß ich so gut wie nichts über Bullivant erfuhr. Er hatte im Dienst der Kolonialregierung in Indien gestanden und einige Unruhen miterlebt; jetzt lebte er allein in einer Wohnung in der Nähe des Museums; er schien auf dezente, fast wohltätige Weise rassistisch zu sein, ihm fehlte der kleine Finger der linken Hand, und er betrieb Studien über jenen Zeitabschnitt in der Geschichte Indiens, der unmittelbar vor dem Sepoy-Aufstand lag und in dem es einen obskuren Hindu-Kult gegeben hatte. Ich bin sicher, daß er entschieden mehr über mich erfuhr. Ich bin von Natur aus gesellig, und einer von uns mußte schließlich die Unterhaltung in Gang halten.
Vor meiner Abreise zurück nach Kalifornien versuchte ich, ihn noch einmal zu treffen, aber der Angestellte im Lesesaal deutete an, daß er nach Edinburgh gefahren sei, um ein ausgefallenes Buch aufzutreiben. Ich hinterließ eine Abschiedsnotiz für ihn am Informationsschalter und flog über die Polarroute nach Hause.
Einige Wochen später erhielt ich zu meiner größten Überraschung einen Brief von Bullivant mit hundert Pfund in englischen Banknoten.
Lieber Michael,
es tut mir außerordentlich leid, daß ich bei Ihrer Abreise nicht da war, aber ich war landaufwärts unterwegs, um Nachforschungen anzustellen, die – so fürchte ich – keine Ergebnisse gebracht haben. Vielleicht könnten Sie, da Sie in Los Angeles vermutlich Zugang zu den Pfründen frühester okkulter Werke haben, mir einen Gefallen erweisen. Bitte glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, daß Ihre Bemühungen in höchstem Maße honoriert werden.
Ich bin auf der Suche nach einem seltenen Buch, das in einer limitierten Auflage im Jahre 1824 in Bombay gedruckt wurde: Die Twaschri-Mysterien von Horace de Bowden. Wenn es Ihnen tatsächlich gelingt, ein Exemplar davon aufzutreiben, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie es mir per Einschreiben zusenden würden.
Ergebenst,
Ihr D. Bullivant
Dann folgte seine Adresse, die Wohnung in der Nähe des Museums. Die Weihnachtsferien standen vor der Tür, es war mir nicht geglückt, eine der Frauen, die mir gefielen, für eine Beziehung zu gewinnen – weder fest noch flüchtig –, und mein Studienaufenthalt in England hatte meine Ersparnisse aufgezehrt, weshalb ich gezwungen war, in der Stadt zu bleiben. Die Suche nach einem ausgefallenen Buch war für mich also eine willkommene, interessante
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