Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Backe.«
»Bagatellen«, wiederholte Billy T. »Aber sich korrumpieren zu lassen, ist keine Bagatelle.«
Hanne schlug die Beine gegeneinander und klapperte mit den Zähnen.
»Bestimmt nicht. Ein Polizist ist ruiniert, sowie er mehr annimmt als eine Tasse Kaffee. Hier aber ging es um fünfzigtausend Kronen. Und Sidensvans war der Sache auf der Spur. Er rief noch zweimal bei Puntvold an. Vorige Woche, am Mittwochnachmittag. Das paßt zu dem Zeitpunkt der plötzlichen Anfrage bei Aftenposten, ob sie nicht eine Reportage über beschlagnahmte Waffen bringen wollen. Und dann rief Sidensvans noch einmal an.«
Eine Elster schrie, flog aus einem Baum am Waldrand auf und dicht an ihnen vorbei.
»Um halb drei am Mordtag«, sagte Hanne. »Bisher können wir nur Vermutungen darüber anstellen, was dabei gesagt wurde. Auf jeden Fall war Puntvold danach klar, daß alles, wofür er gearbeitet hatte, alle Träume … daß sein ganzes Dasein auf dem Spiel stand. Alles, was sozusagen … den Kriminalchef Jens Puntvold ausmachte.«
Billy T. grinste und hielt sich die Hände an die verfrorenen Ohren.
»Oh, verdammt, was für eine Situation für ihn! Vielleicht handelte es sich beim ersten Schuß ganz einfach um eine Reflexhandlung. Ausgelöst von aufgestauter Angst und Panik. Er muß sich in all den Jahren doch ständig vor so etwas gefürchtet haben.«
»Er hat die Sache sicher im Auge behalten«, sagte Hanne langsam und hielt noch immer Ausschau nach Anzeichen von Leben in den zweihundert Meter entfernt liegenden Häusern. »Henrik Backe war der einzige, der ihm gefährlich werden konnte. Er hat die Sache im Auge behalten, Billy T. Das kannst du mir glauben. Er hat zugesehen, wie der alte Mann zugrunde ging. Hat den Alkoholismus und die beginnende Senilität registriert. Hat sich immer sicherer gefühlt. Bis Unn stirbt. Damit fehlt die Garantie für Backes Schweigen. Aber noch ist die Sache nicht wirklich gefährlich, noch nicht. Puntvold weiß, in welchem Zustand Backe ist. Das muß er gewußt haben. Aber dann taucht Sidensvans auf. Hier stand nicht nur Puntvolds Karriere auf dem Spiel. Sondern Jens Puntvolds Leben, Billy T.! Sein gesamtes Dasein. Er hätte nicht mehr Polizist sein können. Ich kann also durchaus verstehen, daß er den ersten Schuß auf Sidensvans abgegeben hat. Herrgott, überleg doch mal, weshalb manche Leute sich umbringen!«
»Sich selbst umzubringen ist aber leichter, als andere zu ermorden.«
»Manche bringen ihre Kinder um«, sagte Hanne und blieb wieder stehen. »Erst, als ich an die Männer gedacht habe, die ihre eigenen Kinder töten …«
Sie stemmte sich gegen einen kräftigen Windstoß.
»Erst da konnte ich mir vorstellen, daß es möglich ist, andere umzubringen, um sich selbst vor dem Sturz zu bewahren. Um seine Ehre nicht zu verlieren. Und als dann der erste Schuß gefallen war, führte kein Weg mehr zurück. Alle in der Wohnung mußten sterben.«
»Nennst du das ein … Verbrechen aus Ehre?«
»Eigentlich nicht. Im traditionellen Verbrechen aus Ehre, falls es so etwas überhaupt gibt, steht der Täter ja zu seiner Tat. Jedenfalls in seinen eigenen Kreisen. Die Ehre wird durch den Mord wiederhergestellt oder entsteht sogar erst durch ihn. Das Verbrechen ist der Sinn der Sache, und deshalb ist es kein Verbrechen, so sieht der Mörder das. Es ist eher … eine Verpflichtung. In unserer Kultur sind wir … vielleicht feiger.«
Sie dachte nach.
»Aber auch bei uns kommen Morde vor, die jemandes Ehre retten sollen. Manche Leute begehen Selbstmord, um Ermittlungen aufzuhalten, die gegen sie im Gange sind, oder um den Hinterbliebenen ein positives Bild der eigenen Person zu vermitteln, neue Sympathien zu erwecken. Morde werden bisweilen begangen, damit kompromittierende Tatsachen nicht ans Licht gelangen. Auch eine Sache der Ehre also.«
»Tatsachen wie jene, daß Norwegens mutmaßlich nächster Polizeichef sich zu Anfang seiner Karriere als reichlich korrupt gezeigt hat«, sagte Billy T.
»Ja, solche Dinge.« Leise, aus der Ferne, von der Rückseite der Felskuppen, die im Süden der kleinen Anhöhe aufragten, war ein rhythmisches Dröhnen zu vernehmen.
»Wie viele kommen?« fragte sie.
»Sechs Mann. Bewaffnet.«
»Lächerlich, einen Hubschrauber zu nehmen! Sie sind nur sauer, weil ich das hier unbedingt selbst übernehmen wollte. Soviel Dramatik! Total unnötig. Puntvold sitzt da unten und wartet. Er weiß, daß die Schlacht verloren ist. Er hat keine Ehre mehr, die er verteidigen
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