Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
alle Welt von unserem Familienstreit wußte. Ich riß mich zusammen und ging zurück. Ich hoffte inständig, daß der Hund verschwunden war. Das war er. Aber …«
»Es war inzwischen jemand anderes gekommen«, sagte Hanne. »Ein Mann.«
»Ja. Woher wissen Sie das?«
»Erzählen Sie.«
»Es waren zwei Männer. Ich war gerade um die Ecke gebogen, da sah ich den ersten, der vor der Haustür stehengeblieben war. Er schien nicht so recht zu wissen, wohin. Ich hatte solche Angst, daß ich fast … Herrgott, ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben noch keine solche Angst gehabt. Als ich mich umdrehte und weglaufen wollte, gerade als der Mann auf die Haustür zuging, sah ich noch einen Typen. Er kam die Straße hoch. Der erste Mann hatte meine Pistole offenbar nicht gesehen, er hielt jedenfalls nichts in der Hand und machte auch keine Anstalten, sich zu bücken. Ich zögerte ein bißchen, dachte, ich könnte es ja doch probieren, die Pistole zu holen, meine ich, aber da sah ich, daß der andere … Sie glauben mir, oder?«
»Ich glaube Ihnen.«
Hermine schielte ängstlich zu Hannes Notizblock hinüber.
»Warum machen Sie sich dann plötzlich Notizen? Macht die Polizei das nicht, um Lügen aufzudecken? Und um Widersprüche zu finden?«
Hanne klappte den Block zu und steckte den Kugelschreiber in die Tasche.
»Sie haben sich aber bisher in keine Widersprüche verwickelt, Hermine. Im Gegenteil. Was hat der andere gemacht? Der Mann, der die Straße hochkam?«
»Ich weiß nicht.«
»Können Sie sich nicht daran erinnern?«
»Ich weiß es ganz einfach nicht mehr. Jetzt, wo ich Ihnen das erzähle, bin ich nicht einmal sicher, ob er wirklich ins Haus wollte. Ich … ich bin einfach davon ausgegangen. Es lag irgendwie an der Art, wie er sich bewegte. Er schaute am Haus hinauf … ich weiß nicht. Jedenfalls war ich einige Sekunden lang wie gelähmt. Dann rannte ich los. Wagte nicht, nach der Pistole zu suchen. Blieb erst stehen, als ich zu Hause angekommen war. Und danach hab ich mich zugedröhnt. Als dann nachts die Bullerei – Verzeihung, die Polizei kam, da war ich fast …«
Die Hand, mit der sie sich die Augen rieb, wirkte noch magerer als früher.
»Ich kann nicht mehr. Ich muß jetzt schlafen.«
Ihr fielen die Augen zu. Sie schluchzte leicht auf, fast unhörbar, wie ein kleines Kind kurz vor dem Einschlafen. Hanne blieb einige Minuten sitzen, bis sie sicher war, daß Hermine tief schlief. Dann nahm sie ihre Jacke und verließ das Krankenzimmer so leise, wie sie nur konnte.
Auf dem Flur saßen Annmari Skar und Håkon Sand.
Sie starrten sie an, von ihren unbequemen Holzstühlen aus, ohne den Mund zu öffnen, ohne aufzustehen.
»Verdammt«, fluchte Hanne. »Hast du geplappert? Hast du es nicht ertragen können, daß ich mir doch noch freigenommen habe? Wo du mich doch fast dazu gezwungen hast!«
»Ich habe nicht geplappert«, sagte Annmari ruhig. »Ich habe mit Håkon gesprochen. Der unser beider Vorgesetzter ist, falls du das vergessen haben solltest. Dein Verhalten hat es einfach zwingend notwendig gemacht, Maßnahmen zu ergreifen.«
»Danke, daß ihr mich bei dieser Vernehmung wenigstens nicht unterbrochen habt«, sagte Hanne säuerlich und setzte sich in Bewegung. »Immerhin habe ich den Fall jetzt aufgeklärt.«
»Hanne!«
Sie sah sich nicht um, verlangsamte aber ihren Schritt. In Håkons Stimme lag etwas Irritierendes, eine unbekannte Stärke, ein Anflug von Wut, wie sie es noch nie gehört hatte.
»Hanne«, sagte er noch einmal, und sie drehte sich um.
»So kannst du nicht weitermachen«, sagte er.
Er stand dicht vor ihr und ergriff ihre Hand. Annmari war still sitzengeblieben, sechs, sieben Meter von ihnen entfernt.
»Früher waren wir einmal zu dritt«, sagte er leise, er flüsterte fast. »Du und ich und Billy T. Und da konntest du so ungefähr machen, was du wolltest. Das konnten wir alle. Das war witzig. Aber es war eine andere Zeit. Eine ganz andere Zeit, mit anderen Methoden. Wir beide sind befreundet, Hanne, und unter Freunden kann man viel hinnehmen. Annmari ist keine Freundin. Sie ist deine Kollegin. Und sie ist dir gegenüber weisungsberechtigt, jedenfalls bei allen Maßnahmen, die mit der Staatsanwaltschaft zu tun haben.«
»Bisher habe ich noch keinen Haftbefehl beantragt«, sagte Hanne bissig. »Und ich finde es gelinde gesagt eine Unverschämtheit, daß ihr einfach herkommt und … Hat diese blöde Kuh von Ärztin euch angerufen?«
»Hanne! Hast du denn vollständig den
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