Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
wohnt da niemand. Jedenfalls ist beim Einwohnermeldeamt niemand gemeldet.«
»Eine leere Wohnung in Kampen«, sagte Hanne langsam, sie schien laut zu denken und sich zu fragen, wozu eine solche Wohnung denn gut sein könnte. »Büro? Gästewohnung? Investition?«
»Eine Gästewohnung in Kampen, und sie lebt am anderen Ende der Stadt?«
Silje zog eine mißbilligende Grimasse und fügte hinzu:
»Ein privates Büro brauchen sie auch beide nicht. Ich wüßte jedenfalls nicht, wozu. Und wenn die Wohnung eine Investition sein sollte, hätten sie sie doch vermietet.«
»Ich muß gleich zu meiner Schwiegermutter«, klagte Erik. »Kann wirklich keine von euch diesen Knopf für mich annähen?«
Hanne schlüpfte in ihre Jacke, zog sich eine Mütze über die Ohren und wollte gehen, ehe die anderen auch nur aufgestanden waren.
»Deiner Schwiegermutter fällt der Knopf sicher gar nicht auf, Erik.«
»Wohin willst du?« fragte Silje.
»Ich? Ich will in die Stadt, Geschenke kaufen.«
»Jetzt? Mitten am … zu Heiligabend?«
»Besser spät als nie«, sagte Hanne und ging zur Tür. »Übrigens …«
Unvermittelt wandte sie sich wieder Silje zu.
»Das mit dieser Wohnung ist verdammt interessant. Schreib eine Aktennotiz und sorg dafür, daß Annmari sie zur Kenntnis nimmt. Jetzt, ehe du Feierabend machst.«
Dann lächelte sie strahlend und tippte sich an die Mütze.
»Schöne Weihnachten. Amüsiert euch.«
Sie machte auf dem Absatz kehrt und war verschwunden.
Silje flüsterte:
»Will sie einfach so gehen? Jetzt, wo sich eine Festnahme abzeichnet und überhaupt?«
»In diesem Fall wird niemand festgenommen«, sagte Erik und versuchte, den obersten Hemdenknopf mit einer Heftklammer zu befestigen. »Niemand wird hinter Hannes Rücken festgenommen. Glaub mir. Ich möchte den Juristen hier im Haus sehen, der das wagt. Bis dann!«
Er schleuderte den Knopf in eine Ecke.
»Fröhliche Weihnachten!«
Silje blieb allein in Hannes Büro sitzen. Überall herrschte eine ungewohnte Stille. Das große Haus wurde wegen der beiden Feiertage immer leerer. Silje ließ sich im Sessel zurücksinken und atmete tief durch. Wieder und wieder, in dem uneingestandenen Versuch, einen Hauch von Hannes Parfüm zu erhaschen.
Sølvi Jotun war nicht schwer zu finden, sie war ganz einfach zu Hause. Auf jeden Fall physisch. Die Adresse hatte Billy T. spät am Vorabend ausfindig gemacht. Den Besuch hatte er aufgeschoben, er konnte einfach nur noch schlafen. Er hatte kaum gute Nacht gesagt, da war er schon ins Bett gefallen. Nachdem er acht Stunden fast im Koma gelegen hatte, war er wenigstens nicht mehr ganz so müde.
Als er, ohne die Erlaubnis des diensthabenden Juristen eingeholt zu haben, im Mor Go’hjertas vei in Sagene die Wohnungstür aufgebrochen hatte, fand er Sølvi in einer Ecke, wie ein vergessenes Kleiderbündel. Ansonsten war die Wohnung bemerkenswert aufgeräumt. Das Badezimmer, wo er sich in einem Zahnbecher Wasser holte, weil die Küchentür aus irgendeinem Grund abgeschlossen war, war erst kürzlich gesäubert worden. In dem winzigen Wohnzimmer stand alles da, wo es hingehörte. Ein abgenutztes und mit einer Decke versehenes Sofa, zwei Sessel, die nicht zusammengehörten. Ein Couchtisch, der ihn an die sechziger Jahre erinnerte. Auf dem Fernseher stand ein blauer Glasvogel. Zu allem Überfluß enthielt das Zimmer auch ein Bücherregal, bestehend aus aufeinander gestapelten Bierkästen, vollgestopft mit Kriminalromanen und Dostojewskis gesammelten Werken.
An einem guten Tag war diese Wohnung vielleicht gemütlich. Jetzt war es dort nur kalt. Billy T. machte sich selbst oft genug Sorgen, was die Strompreise anging, aber auch die Sparsamkeit mußte doch Grenzen haben. Er schaute aus zusammengekniffenen Augen auf das Thermometer an der Wand: elf Grad.
»Hallo«, sagte er freundlich, ging neben der zusammengekrümmten Gestalt in die Hocke und stupste vorsichtig ihre Schulter an. »Sølvi. Hallo!«
Sie stöhnte und schnalzte trocken mit der Zunge.
»Wasser«, sagte Billy T. und hob vorsichtig ihren Kopf, um ihr zu trinken zu geben.
Sølvi Jotun versuchte zu trinken. Die Hälfte des Wassers lief ihr wieder aus dem Mund, aber endlich konnte sie dann die Augen öffnen.
»Oh Scheiße«, stöhnte sie. »Du bist das.«
»Keine Panik«, sagte er. »Diesmal ist es nicht gefährlich, Sølvi. Ich wollte nur ein wenig reden.«
Die Frau ließ sich zurücksinken. Sein Arm war zwischen ihrem Kopf und dem kalten Heizkörper eingeklemmt. Er
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