Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
siehst«, sagte Hanne und nickte zu den Essensresten hinüber. »Methadon, Isolation und Hausarbeit wirken Wunder. Und Nefis und sie sind zusammen so.«
Sie kreuzte in der Luft zwei Finger, und Billy T. lachte laut.
»Aber es ist trotzdem manchmal ein bißchen hart«, sagte Hanne. »Für mich. Es stehen im Alltag zwei gegen eine.«
»Pah. Das findest du doch toll. Hab dich seit Jahren nicht mehr so glücklich gesehen. Nicht seit … den alten Zeiten, sozusagen. Fast kommt mir alles so vor wie früher.«
Sie räumten schweigend auf. Es war jetzt kurz nach zwei. Wind war aufgekommen, ein messerscharfer, abrupt einsetzender Wind. Ihre Spuren auf dem Hof waren verweht. Aus den Wohnungen fiel kein Licht mehr. Nur die Straßenlaternen vor der Gartenmauer machten den Schnee sichtbar, der jetzt überall lag. Hanne schaute aus zusammengekniffenen Augen ins Nichts.
»Nichts ist wie früher«, sagte sie leise. »Sag das nie wieder. Jetzt ist jetzt. Alles ist anders. Cecilie ist tot. Nefis ist gekommen. Du und ich sind … wir sind älter. Nichts ist wie früher. Das wäre unmöglich.«
Er war schon losgegangen, unsicher im Schneegestöber, die Hände tief in den Taschen. Sie schaute ihm hinterher.
»Geh nicht«, rief sie hinter ihm her. »Ich meinte doch nur …«
Billy T. wollte nichts hören. Als er das Tor erreicht hatte, schaute er sich rasch um. Seine Miene machte ihr angst. Zuerst begriff sie nicht. Dann wollte sie nicht begreifen. Sie wollte nicht hören, was er murmelte, bestimmt hatte sie sich verhört. Er war schon zu weit weg. Der Schnee machte die Konturen unscharf und die Geräusche vage.
Sie griff nach ihrer Tasche, zog mit Mühe die Schlüssel heraus und schloß die Tür auf.
»Verdammt«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
Sie ließ den Fahrstuhl stehen und ging langsam die Treppen hoch.
Freitag, 20. Dezember
Die Stille weckte sie in aller Frühe. Morgens hatte sie schon immer einen leichten Schlaf gehabt, und ohne den vertrauten, freundlichen Lärm der Oststadt und die LKW in Tøyen brauchte sie keinen Wecker mehr. Nicht einmal sicherheitshalber. Obwohl sie erst vor zwei Stunden eingeschlafen war, wußte sie, daß es keinen Zweck hätte, sich noch einmal umzudrehen. Ein offenes Fenster wäre ihr natürlich eine Hilfe gewesen. Mit etwas mehr Geräuschen hätte Hanne noch eine Stunde oder sogar zwei schlafen können. Schweißnaß schlug sie die Decke beiseite und stand auf. Nefis murmelte im Schlaf, unter ihrer dünnen Decke ragten Teile ihres Körpers hervor. Neben dem dunkelblauen orientalischen Muster sah ihre Haut bleicher aus, als sie war. Sie sah kindlich aus, wie sie so dalag, mit aufgerissenem Mund und über dem Kopf verschränkten Armen. Ein dünner Speichelfaden hatte einen Fleck auf dem Kissen hinterlassen. Im Zimmer waren es über zwanzig Grad. Hanne hatte schrecklichen Durst.
Die Zeitung war bereits gekommen. Es duftete nach frisch aufgebrühtem Kaffee, als sie in die Küche kam und leise die Tür hinter sich schloß. Wie immer hatte Marry die Kaffeemaschine auf halb sechs programmiert. In der Küche wimmelte es nur so von absurden Hilfsmitteln, von Uhren und Regulatoren für alle denkbaren und undenkbaren Zwecke. Nefis wollte sie haben, Nefis konnte sie sich leisten. Nefis hatte Geld für alles mögliche. Nefis hatte im Alter von achtunddreißig Jahren ihr erstes wirkliches Zuhause gegründet und füllte es nun entzückt mit überflüssigen Dingen, die Marry begeistert und überraschend geschickt in Gebrauch nahm, obwohl sie kaum imstande war, sich durch eine Gebrauchsanweisung hindurchzuquälen.
Hanne füllte einen Becher mit Kaffee und gab Milch dazu. Dann trank sie einen halben Liter Saft aus dem Karton und merkte, daß sie keinen Hunger hatte. Morgens sehnte sie sich immer schrecklich nach einer Zigarette. Das überraschte sie. Als sie ein gutes Jahr zuvor endlich mit Rauchen aufgehört hatte, hatte sie sich vor allem vor den Abenden gefürchtet. Vor dem Alkohol. Vor dem Zusammensein mit anderen. Vielleicht auch vor dem Streß bei der Arbeit. Aber dann hatten die Morgen sich als das wirkliche Problem erwiesen. Sie äugte zum Schrank über dem Herd, wo Marry ihren Drehtabak deponierte, den Nefis einmal im Monat kaufte und den Marry, die sich sogar mit Nefis’ Befehl abfand, nur in ihrem eigenen kleinen Bereich der Wohnung zu rauchen, in Plastikdosen versiegelte.
Die Zeitung brachte gewaltige Schlagzeilen. Fast die ganze erste Seite war den Morden in der Eckersbergs
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