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Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)

Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)

Titel: Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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Interesse, wenn er ehrlich war.
    Deshalb lag er jetzt hier auf dem Fußboden des Fremdenzimmers und lauschte still der Sinfonie ihres Schlummers: ihr Seufzen, das unverständliche Murmeln, das leise Geräusch, wenn ihre Hand über das Kissen glitt, das Knistern des gestärkten Lakens, wenn sie ihre wundervollen Glieder bewegte. Sie war wie eine Bergkette, die sich nicht erklimmen lassen wollte. Nein, eher wie ein See, der zu tief zu sein schien, um ihn ausloten zu können. Doch Phin war Experte auf diesem Gebiet, hatte er doch Jahre damit zugebracht, schwer zugängliche Regionen zu erforschen. Der Prozess, der damit einherging, war vor allem von Mühsal geprägt. Unzählige Einzelheiten wollten zusammengetragen und richtig zusammensetzt werden, ehe sie ein großes Ganzes ergaben. Hinzu kam die Disziplin, die man aufbringen musste, um im Falle eines Fehlers alles wieder auseinanderzunehmen und von Neuem zusammenzufügen. Doch Phin war für eine solche Aufgabe gut gerüstet. Immerhin war er Stephen Granvilles Sohn, und einen Großteil seines Lebens hatte er bis jetzt damit zugebracht zu versuchen, eine obsessive Neigung zu einem sinnvolleren Zeitvertreib als Alkohol und Kartenspiel umzumünzen. Sheldrake war der Erste gewesen, der ihm aufgezeigt hatte, wo er seine Talente um einiges sinnvoller einsetzen konnte. Ridland hatte ihm einen weiteren Weg aufgezeigt, und jetzt hatte er seinen ganz eigenen Zugang zu seinen Vorzügen gefunden. Er wandte sein Können bei ihr an. Ein Bild begann sich in langen Stunden der Dunkelheit zu formen. Ein Bild, das sich nur dann zu einem Ganzen zusammenfügen ließ, wenn er ein Teil davon wurde.
    Während er grübelnd wach lag, schien es ihm, dass Mina Masters Landkarte mit seiner eigenen mehr Überschneidungen aufwies, als ihm anfänglich bewusst gewesen war. Eine andere Erklärung für die tiefgreifenden Gefühle, die er empfand, wenn er sie berührte, gab es nicht. Und dann dieses unerklärliche Gefühl der Übereinstimmung. Wann immer er sich an sie schmiegte, war ihm, als würde er endlich in seine eigene Haut passen. All das erinnerte ihn an ein Phänomen, von dem er als Junge gelesen hatte – dass sich der Magnetismus der Pole vor Urzeiten umgekehrt hatte und die Welt sich neu hatte ausrichten müssen. Das Bild einer derartigen Unordnung hatte ihn als Kind so sehr in Angst und Schrecken versetzt, dass er von Kompassen geträumt hatte, deren Nadeln sich wild um die eigene Achse drehten. Jetzt fragte er sich fasziniert, ob sein eigener Kompass womöglich schon länger nicht mehr gewusst hatte, worauf er sich ausrichten sollte.
    Für Phin stand fest, dass seine persönliche Polumkehr nicht mit dem Öffnen von Ridlands Brief begonnen hatte. Seine Gedanken wanderten zu jenem Moment in Hongkong zurück, als er Mina das erste Mal begehrt hatte, nur um dann doch einen Rückzieher zu machen. Womöglich war das der entscheidende Moment gewesen. Seinerzeit hatte er die kleinen Zeichen geflissentlich übersehen und sich auf andere Ziele konzentriert, er hatte sich selbst verunglimpft, weil er Gefühle für sie entwickelt hatte. Gefühle, die er als Zeichen seiner Schwäche interpretiert hatte. Wäre ihm damals aufgegangen, dass sie das Warten wert war, hätte er womöglich den Mut aufgebracht, das zu tun, was ihr im Blut lag: sich in einem Raum, in den man gesperrt worden war, umzuschauen und nach Möglichkeiten zu suchen, für die es sich lohnte, das Fenster einzuschlagen.
    Phin setzte sich auf und erfreute sich daran, wie das Mondlicht durch die dünnen Vorhänge fiel, sich im Spiegel brach und Minas Antlitz in kühlem Licht badete. War es möglich, dass Verlangen sich genau wie das Licht brach und stärker wurde, wenn es von der Vergangenheit in die Gegenwart leuchtete? Denn je länger er Mina ansah, desto bedeutsamer schien alles zu sein: sein falsches Verhalten in Hongkong ihr gegenüber, all die Augenblicke, in denen sie ihn wütend gemacht und verwirrt hatte, ihn gereizt und seine Verachtung und sein Verlangen geweckt hatte. Und jetzt hatte sich all das untrennbar mit den Ereignissen der jüngsten Zeit verbunden, hatten sich das Gestern und das Heute nahtlos vereint. Diese neue Sichtweise auf Mina verdeutlichte Phin, welch langen Weg er gegangen war und wie sehr er sich verändert hatte, seitdem er von hübschen Mädchen wie Miss Sheldrake geträumt hatte.
    Warum reden Sie so mit mir, hatte Mina ihn gefragt. Die Antwort, die ihm auf der Zunge gelegen hatte, die er aber niemals

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