Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)
zehn Jahren anderweitig beschäftigt.«
»Mit dem Zeichnen von Karten«, antwortete sie. »Von Hause aus sind Sie Kartograf, wenn ich mich nicht irre.«
»Ja«, sagte er. »Irgendwann werde ich Ihnen davon in Ruhe erzählen.«
»Irgendwann nächste Woche«, erwiderte sie.
Sein Lächeln bereitete ihr Unbehagen. Um ihre Nervosität zu überspielen, fragte sie ihn im Gegenzug über London aus. Er gab vor, dank alter Freunde jeden Tag Neues in der Stadt zu entdecken. Einige der Geschichten, die er ihr von seinen Freunden erzählte, insbesondere von einem gewissen Viscount Sanburne, überraschten Mina, die sich nicht hätte träumen lassen, dass er sich mit so wilder Gesellschaft umgab. Was die Kapriolen seines Freundes betraf, schien Ashmore recht tolerant zu sein. Der Stadt London hingegen, die bei derartigen Kapriolen ein Auge zudrückte, begegnete er mit einer gewissen Skepsis.
»Im Gegenteil«, sagte sie. »Meines Erachtens spricht das sogar für eine Metropole wie London. In einer Großstadt sollte auch Raum sein, sich mal danebenzubenehmen.«
»Dann wäre es ja genau das richtige Pflaster für Sie«, entgegnete er.
»Das dachte ich auch, aber Mr Ridland hat meine Einschätzung ins Wanken gebracht.«
»Ja, dafür hat er eine Begabung,«, pflichtete Ashmore ihr bei. »Ich habe versucht, die zuständige Behörde davon zu überzeugen, ihn in den Ruhestand zu schicken. Wer weiß, vielleicht gelingt es uns, Ihre Meinung über die Stadt zu ändern, wenn all das hier vorüber ist.«
Und schon wieder machte er eine Bemerkung, die implizierte, dass ihre Verbindung noch länger als eine Woche andauern würde. Als Mina merkte, wie sie errötete, zwang sie sich, an die fein säuberlich arrangierten Federkiele zu denken.
Kurz hinter der Grenze nach Cornwall kam ein Verkäufer vorbei, der Pasteten feilbot und sie dazu beglückwünschte, sich jetzt im sichersten Teil des Königreiches zu befinden. »Nicht einmal der Teufel hat die Traute, Cornwall zu betreten, aus Angst, in einer meiner Pasteten zu enden«, versicherte er ihnen. Mina war anderer Ansicht – mit Collins hatte auch der Teufel diese Grenze passiert. Aber sie war zu hungrig, um sich zu streiten, und machte sich begierig über das Essen her. So sehr, dass hier und da Krümel zu Boden gingen, was sie aber nicht weiter störte. Ashmores Herangehensweise an die Pastete war um Längen eleganter. Nach jedem Bissen, den er abbrach, schnipste er störende Krümel mit dem Finger weg, sodass sich in einer Ecke des Abteils ein kleiner ordentlicher Hügel aus Teigresten ansammelte. Ja, Mina mochte Ashmore, schließlich fand er selbst einen Weg, Krümel zu disziplinieren. Doch sie ließ es sich nicht nehmen, den Fuß auszustrecken und den kleinen Berg einzuebnen. »Was ist?«, fragte sie und fügte hinzu, nachdem er die Achseln gezuckt hatte: »Muss bei Ihnen denn alles immer in Reih und Glied sein?«
»Auf dem Gegenteil zu bestehen ist nicht weniger zwanghaft«, entgegnete er.
Der Punkt ging an ihn. Als Mina merkte, dass die Panik, die sie am Morgen ereilt hatte, sich abermals zu einem Sturm auf sie bereit machte, wechselte sie schnell das Thema und kam auf Katzen und ihre generelle Undankbarkeit zu sprechen.
Bei ihrer Ankunft in Penzance war es bereits später Nachmittag. Die Menschen des Küstenorts sahen anders aus als die in London, sie wirkten größer und dunkler, als wäre es der Zeit nicht gelungen, ihr keltisches Blut zu verdünnen. Eine Kutsche zu organisieren war kein Problem, befanden sie sich doch in einer aufstrebenden Kleinstadt samt protzigem Markthaus mit Marmorkuppel, das vor dem Bahnhof thronte und förmlich dazu einlud, wichtige Geschäfte zu tätigen. Durch die klappernden Fenster der Postkutsche betrachtete Mina die bis zum Rand mit Feldfrüchten oder Sardinen gefüllten Karren, die sich auf den Straßen drängten. Am Rande der Stadt dominierten Invaliden das Bild, die auf der aus Granit gebauten Uferstraße die meersalzgeschwängerte Luft genossen. Immer weiter wand sich die Straße an der Bucht entlang, vorbei an Granitfelsen, die der tosende Wind blank geputzt hatte. Der Ozean jenseits der Bergkette war überraschend aufgewühlt und glich in seinen vielen Blau- und Grüntönen einem riesigen, sich kräuselnden Laken.
Nicht mehr lange, und sie würde ihre Mutter endlich wiedersehen. Diese Zuversicht legte sich wie ein warmer weicher Mantel um Mina. Das Gefühl hielt jedoch nur so lange an, bis sie das Wirtshaus von Providence betraten. Als
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