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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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wurde?«
    »Ja.« Ich lächle flüchtig.
    »Was haben Sie dann getan, nachdem Colin Sie verlassen hatte?«
    »Ich sprach mit Dr. Johansen. Ich bat ihn, mir wieder Prozac zu verschreiben.«
    »Ich verstehe«, sagt Joan. »Haben die Medikamente Ihnen geholfen, sich emotional zu stabilisieren?«
    »Ja, absolut. Dank ihnen bin ich verhältnismäßig gut mit der Situation fertig geworden.«
    »Und wie ist Faith mit alledem klargekommen?«
    »Sie kapselte sich ab. Sie sprach nicht mehr. Und dann, ganz plötzlich, dachte sie sich eine imaginäre Freundin aus. Ich ging mit ihr zu Dr. Keller.«
    »Waren Sie besorgt wegen dieser imaginären Freundin?«
    »Ja. Es war nicht nur eine Spielkameradin. Faith sagte plötzlich Dinge, die keinen Sinn machten. Sie zitierte Bibelverse. Sie erwähnte ein Geheimnis aus meiner Kindheit, von dem niemand wusste außer mir selbst. Und dann - so verrückt das klingen mag - holte sie ihre Großmutter ins Leben zurück.«
    Malcolm Metz hüstelt.
    »Und dann?«
    »In einigen Lokalzeitungen tauchten erste Artikel auf«, fahre ich fort. »Ian Fletcher tauchte auf, ebenso wie Vertreter einer Sekte und Reporter von einem Dutzend verschiedener Sender. Nachdem Faith ein aidskrankes Kleinkind geheilt hatte, nahm der Medienrummel zu, und immer mehr Menschen wollten Faith berühren oder mit ihr beten.«
    »Wie standen Sie dazu?«
    »Ich fand es furchtbar«, antworte ich, ohne zu zögern. »Faith ist sieben. Sie konnte nicht mehr zum Spielen nach draußen gehen, ohne belästigt zu werden. In der Schule wurde sie gehänselt, sodass ich sie zu Hause behielt und daheim unterrichtete.«
    »Mariah, haben Sie in irgendeiner Weise Faith zu ihren Halluzinationen ermutigt?«
    »Ich? Colin und ich sind gewissermaßen eine Mischehe eingegangen. Ich habe noch nie in einer Bibel gelesen. Ich hätte ihr so etwas gar nicht einreden können; mir selbst war das meiste von dem, was sie erzählte, völlig fremd.«
    »Haben Sie Ihrer Tochter jemals wehgetan, um die Blutungen an ihren Händen und ihrer Seite herbeizuführen?«
    »Nein. Zu so etwas wäre ich niemals fähig.«
    »Was glauben Sie, würde aus Faith werden, wenn sie bei Colin lebte?«
    »Nun«, antworte ich bedächtig, »er liebt sie. Er hat ihre Interessen zwar nicht immer allem anderen vorangestellt, aber er liebt sie. Es ist nicht Colin, um den ich mir Sorgen mache … sondern Faith. Sie müsste lernen, mit einem neuen Geschwisterchen umzugehen und mit einer Stiefmutter, und ich denke, es wäre nicht fair, von ihr zu verlangen, sich schon wieder auf ein neues Umfeld einzustellen.« Stirnrunzelnd blicke ich auf Colin. »Faith wirkt Wunder. Sie mir wegzunehmen wird hieran nichts ändern. Und es wird auch nichts daran ändern, dass Menschen ihr folgen oder etwas von ihr wollen, wo sie auch hingeht.«
    Ich kann den Blick meiner Tochter spüren, wie die Sonne, die man auf dem Gesicht fühlt, wenn man nach draußen geht. »Ich kann Ihnen nicht sagen, warum Faith so ist«, sage ich leise, »aber es ist nun einmal so. Ich kann Ihnen nicht sagen, warum ich es verdient habe, sie bei mir zu haben, aber sie gehört zu mir.«
     
    Metz bezeichnet es gern als »Schlange-im-Urwald«-Taktik. Bei einer Zeugin wie Mariah White hat er zwei Möglichkeiten: Er kann sie in Grund und Boden reden und restlos verwirren, oder er kann Freundlichkeit mimen, seine Fragen schonend formulieren, um dann, wenn sie es am wenigsten erwartet, zum Todesstoß anzusetzen. Das Wichtigste ist es, in Mariah Selbstzweifel zu wecken. Das ist, wie sie selbst zugegeben hat, ihre Achillesferse. »Sie müssen es gründlich satt haben, von Ihren Depressionen von vor sieben Jahren zu sprechen.«
    Mariah lächelt höflich, aber zurückhaltend. »War das das erste Mal in Ihrem Leben, dass Sie so krank waren?«
    »Ja.«
    Seine Stimme trieft förmlich von Mitleid. »Die Depressionen haben sich seit damals immer mal wieder zurückgemeldet, nicht wahr?«
    »Nein.«
    »Aber Sie haben doch Medikamente genommen«, widerspricht Metz in mahnendem Tonfall, als hätte sie falsch geantwortet.
    Sie macht ein verwirrtes Gesicht, und Metz lächelt in sich hinein. »Ja, das stimmt, aber das hat das Wiederaufflackern der Depressionen ja gerade verhindert.«
    »Was für Medikamente nehmen Sie derzeit?«
    »Prozac.«
    »Wurde Ihnen dieses Medikament speziell verschrieben, um drastische Stimmungsschwankungen zu vermeiden?«
    »Ich habe und hatte nie drastische Stimmungsschwankungen … Ich leide an Depressionen.«
    »Erinnern Sie

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