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Die Wahrheit der technischen Welt: Essays zur Genealogie der Gegenwart (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Die Wahrheit der technischen Welt: Essays zur Genealogie der Gegenwart (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Titel: Die Wahrheit der technischen Welt: Essays zur Genealogie der Gegenwart (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich A. Kittler
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Insel zunächst in den spanisch fernen Westen, wo Odysseus seiner toten Mutter und unzählig vielen Kriegerwitwen lauscht. Aus dem Hades kehrt er zurück in Kirkes Bett, die ihn – aber erst auf Bitten der Gefährten – weiter zu den Sirenen, den Liparen und durch die Straße von Messina nach Sizilien weist. Dort verliert Odysseus sein letztes Schiff und treibt schiffbrüchig nach Malta zu Kirkes Doppelgängerin Kalypso, die erst nach sieben Jahren und auf Befehl der Götter hin die Richtung seines Heimwegs lehrt. So nimmt die Irrfahrt schließlich doch – nach weiteren Fahrten, Nymphengöttinnen und Sängern – ihr gutes Ende. Odysseus schläft zum erstenmal seit zwanzig Jahren mit seiner Frau und erzählt ihr noch im Bett von allen Abenteuern – mit Ausnahme der Nymphenbetten. Dann umfängt die beiden süßer Schlaf. Wir wissen das, da Homer und alle Griechen ihn als ihren größten Lügner feierten.
    Nur in einer Hinsicht lügt Odysseus nicht. Die vielen Inseln, auf denen jene Riesen oder Nymphen hausen, gibt es im Westmittelmeer. Sie tragen aber – im Gegensatz zu ihren Herren – mit Ausnahme Aiaias selber keine Namen. Mit Klaus Reichert, also gegen Walter Burkert, gehe ich davon aus, daß Odysseus in den vier Gesängen, die seine Irrfahrten besingen, als Entdecker damals unbekannter Küsten, Inseln, Häfen auftritt. Denn nur ein Menschenalter später siedeln erste Griechen, wohl im Verein mit Phönikern, auf Ischia vor Neapel. Von dieser Insel aus gründen sie um − 750 erste Festlandkolonien: Cumae in Campanien, Rhegion imnachmaligen Großgriechenland. Es folgen Metapontion und Tarent, Syrakus und Agrigent, bis um − 700 Griechen ganz Süditalien besiedelt haben.
    Gelehrte, die wie Joachim Latacz die Ilias auf »ca. [−]730-710« datieren, [3] die Odyssee noch später, handeln sich also unnötige Probleme ein. Was sollen die euböischen Handelsherren auf Ischia von zwei Sirenen halten, die ganz in der Nähe bei Capri singen? Glauben die Griechen in Rhegion, also Reggio, an Skylla und Charybdis? Und was besagt es schließlich, daß eine auf Ischia gefundene Amphore den Schiffbruch von Odysseus’ Gefährten ins Bild setzt, ja daß zwei um − 730 dortselbst gedichtete Hexameter unzweideutig auf die Ilias und Odyssee anspielen? All das kann nur heißen: Die Griechen haben Unteritalien im Kielwasser Homers entdeckt, der mithin geschrieben vorgelegen haben muß. Ohne Helden wie Odysseus wäre gar nicht zu erklären, wann und weshalb das Vokalalphabet von Cumae zu den Etruskern gelangt ist und von Gabii (wo sich die bislang älteste griechische Inschrift fand) nach Rom. Deshalb bleibt Homer für alle Ewigkeit Der Dichter.
    Bei Hesiod, der um − 700 mit der Odyssee einen hoffnungslosen Wettstreit eingegangen ist, liegt das offen zutage. Die Küsten Süditaliens sind entdeckt. All jene Inseln, die Odysseus namenlos beließ, tragen folglich Eigennamen. Die Sirenen singen auf Anthemoessa, einer blumenreichen Insel auf dem Seeweg nach Südspanien. Kirke haust auf Hesperien, einer im Wortsinn abendländischen Insel vor der etruskischen Küste. Von Kalypso hat Odysseus die beiden Söhne Nausithoos und Nausinoos, von Kirke Agrios, Telegonos und Latinos, die »über die fernen Etrusker gebieten«. »Dies«, endet Hesiod den Nymphenkatalog seiner Theogonie , »sind die unsterblichen Göttinnen, die bei sterblichen Männern gelegen haben und ihnen gottgleiche Kinder gebaren« (Theog. 1011-1020).
    So werden wir Zeugen des ebenso geschichtlichen wie dichterischen Ereignisses, daß sich Italien im Kielwasser der Odyssee entborgen hat. In Griechenland, heißt es im letzten Chorlied von Sophokles’ Antigone , das zugleich unser erster Beleg für das Wort »Italien« ist, seien dem Dionysos nur einzelne Quellen oder Gipfel heilig, in »Italien« aber das ganze Land. Kein Wunder, wenn man bedenkt, was Odysseus und nach ihm die Siedler am meistenbegehren: unendlich viel Rindfleisch und süßen Wein. Der Name Italien geht – wie jedes vitello tonnato , das wir essen – etymologisch auf *Witalia zurück, das Kälberland. Man vergleiche das mit dem kargen Ithaka, wo nach Ausweis der Odyssee zwar Ziegen und Schafe gedeihen, aber weder Rinder noch Pferde …
    Italiens Weine und Weizenfelder, Pferde und Rinder wecken also Begierden. Deshalb lockt es nicht nur griechische Aussiedler, sondern auch etruskische oder trojanische Eroberer. Allen Nachstellungen der griechischen Hera zum Trotz rettet daher

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