Die Wahrheit des Alligators
heißen, sich sinnlos in die Rolle des Opfers zu begeben. Die Justiz ist ein Mechanismus, der die Verlierer zermalmt. Und ihr seid geborene Verlierer. Was könnten Sie sonst noch tun? Sie könnten in Versuchung kommen, die Informationen, die Sie gesammelt haben, publik zu machen. Ich gebe zu, in diesem Fall könnte es für uns ziemlich unangenehm werden. Unsere Feinde würden eine Chance wittern, aber wieder würde alles zerplatzen wie eine Seifenblase … wir sind Experten für Seifenblasen. Unsere Freunde würden sich um uns scharen und uns Deckung bieten, und sie würden ihren Einfluß geltend machen, um uns zu verteidigen. Wir leben in einer Zeit, in der Skandale für die öffentliche Meinung wie das tägliche Brot sind: Sie reagiert darauf immer gelangweilter und zerstreuter. Mein lieber Buratti, geben Sie’s auf, Sie und Ihre Freunde sind die Verlierer, nicht wir.«
Schweigen senkte sich auf den Raum, nur unterbrochen vom Klicken meines Feuerzeugs, mit dem ich mir eine Zigarette anzündete. Ich war verwirrt. Ich hatte gedacht, Trumpfkarten in der Hand zu haben, aber mit der Raffinesse und Geschicklichkeit eines Staranwalts war es Sartori gelungen, die Situation zu kippen. Ich beschloß, noch höher zu setzen. »Meiner Meinung nach bluffen Sie und versuchen, mir Angst einzujagen. Sie mögen ja recht haben, was den juristischen Aspekt der Sache angeht, aber ich bin überzeugt, Sie machen einen großen Fehler, wenn Sie die öffentliche Meinung unterschätzen. Die Leute sind überhaupt nicht dumm, und nicht die gesamte Presse ist käuflich. Im übrigen, ihr seid nichts weiter als Parasiten, die einer Lobby angehören, die zwar alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt und sehr mächtig ist, aber nicht unbezwingbar. Obendrein haben Sie durch Ihre Megalomanie den Sinn für die Realität verloren. Ihr dürft nicht glauben, immer weiter Herren über das Schicksal anderer zu sein. Die Schmiergeldskandale der letzten Jahre sollten Sie doch etwas gelehrt haben.«
Beide brachen in schallendes Gelächter aus. Und zum ersten Mal ergriff Ventura das Wort. »Wenn Sie meinen, das sei ein Bluff, dann brauchen Sie ja nur abzuwarten, Sie werden schon sehen«, forderte er mich heraus. »Aber verschonen Sie uns wenigstens mit Ihren Naivitäten eines APO-Anhängers der siebziger Jahre. Die Operation ›Saubere Hände, war nur dazu da, ganz schnell diejenigen auszuschalten, die nicht einsehen wollten, daß endlich ein Machtwechsel angesagt war. Schauen Sie doch in den Spiegel, Buratti, Sie sind es, der außerhalb der Realität lebt, wir dagegen sind die Realität … gehen Sie, und lassen Sie sich nie wieder hier blicken.«
Ich rührte mich nicht und drückte die Zigarettenkippe auf der Mahagoni-Tischplatte aus. Ich kochte vor Wut, zwang mich aber, ruhig zu wirken.
»Ich glaube zu verstehen, daß ihr keinerlei Absicht habt zu verhandeln. Um so schlimmer für euch. Eure Strategie ist sehr vorhersehbar. Ihr spielt die Rolle der Sieger, weil ihr sicher seid, uns auszuschalten; ihr wollt uns entweder von der Caruso-Bande ermorden lassen oder uns irgendeine erfundene Straftat anhängen. Die Mittel dazu habt ihr, das weiß ich wohl. Zu den Rittern des Ordens der Heiligen Konstanze gehören schließlich auch Geheimagenten, Bullen und Richter. Aber auf eines solltet Ihr euch gefaßt machen: Wir werden unsere Haut teuer verkaufen.«
Ich stand auf und ging zum Ausgang. Draußen stand Benjamino mit seinem Maschinengewehr. »Wie ist es gelaufen?« fragte er. »Schlecht. Sehr schlecht.«
»Von der Terrasse aus habe ich die Carusos gesehen. Sie haben zwei Autos rechts und links vom Eingang postiert. Ein Fehler, wir überrumpeln sie ganz leicht.«
Wir liefen in den Keller hinunter, um das Motorrad zu holen. Ich öffnete die Tür, und als er den Motor anließ, sprang ich auf den Hintersitz. Er gab Gas: Mit einem Satz nahmen wir die drei Stufen, die uns von der Straße trennten. Mein Freund hatte recht. Die Bande stand vollzählig da und starrte uns mit offenem Mund hinterher, als wir nur einen Meter von ihnen entfernt vorbeipreschten. Sobald wir in Sicherheit waren, wandte ich mich um und zeigte ihnen den Mittelfinger. Kaum waren wir in unserem Quartier angekommen, war meine erste Geste der Griff zum Calvados: Ich kippte ihn direkt aus der Flasche hinunter.
»Ruhig, Marco. Setz dich und erzähl mir, was passiert ist.« Das tat ich und wiederholte dabei jedes einzelne Wort, das gesprochen worden war.
»Hab ich’s doch geahnt«, kicherte
Weitere Kostenlose Bücher