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Die Wahrheit des Alligators

Die Wahrheit des Alligators

Titel: Die Wahrheit des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massimo Carlotto
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er. »Sie unterschätzen uns. Und das ist ein Fehler, den sie teuer bezahlen werden.«
    »Ich verstehe nicht, wie du so siegessicher daherreden kannst. Was mich betrifft, sehe ich nur eine Lösung: noch vor heute abend über die Grenze abzuhauen.«
    »Nicht heute abend, sondern Dienstag nacht. Vorher haben wir noch einiges zu tun.«
    »Willst du damit sagen, du hast einen Plan?« fragte ich fassungslos.
    »Schon seit drei Tagen geht er mir im Kopf herum. Wir können hier nicht mit eingekniffenem Schwanz die Zelte abreißen, das wäre, als würden wir den Kopf in die Schlinge stecken. Wir müssen diesen Herrschaften zu verstehen geben, daß sie uns besser in Ruhe lassen.«
    »Zelte? Schlinge? Was redest du denn da?« Er erklärte mir ungefähr eine Stunde lang seinen Plan. Mehrmals stellte ich Fragen und machte Gegenvorschläge. Zum Schluß schwiegen wir beide und sahen uns an. »Das klappt, du wirst sehen«, versicherte er mir. »Das erinnert mich an einen Film, Heißes Eisen von Fritz Lang. Aber wenn was schiefgeht, dann spielen wir das Finale von Wild Bunch – Sie kannten kein Gesetz nach.« Den Rest des Tages und einen Teil der Nacht brachte ich mit Schreiben zu. Eine Zusammenfassung der Ereignisse für Giovanni Galderisi und eine detaillierte Schilderung für Max das Gedächtnis; dem zweiten Brief fügte ich eine Kopie der letzten Tonbandaufnahmen hinzu.
    Montag war der einzige Regentag des Monats, deshalb brauchten wir fast den ganzen Vormittag, um Marielita, die Frau von Max, aufzutreiben.
    »Was machst du heute abend, Alligator?« fragte sie mich, während ich ihr den Umschlag hinhielt.
    »Ich bin beschäftigt – mit dem Versuch, meine Haut zu retten.«
    »Gut. Falls es dir gelingen sollte«, sie warf mir einen halb ironischen, halb belustigten Blick zu, »dann melde dich.«

    »Wie sagtest du, heißt dieser Typ?« fragte der alte Rossini. »Luther Blisset.«
    »Den Namen hab ich doch schon mal gehört … na klar: So heißt ein berühmter Mittelstürmer aus Jamaica. In der Meisterschaft 83/84 hat er beim FC Mailand gespielt.«
    »Auch. Aber jetzt ist Luther Blisset ein multiple name, ein kollektiver Name. Es ist eine Bewegung, in der alle Mitglieder so heißen.«
    »Bewegung? Was für eine Bewegung?« fragte er alarmiert. »Für kulturellen Terrorismus. Ihr Ziel ist es, sämtliche kommunikativen Netzwerke zu infizieren, indem sie das kollektive Bewußtsein mit verwirrenden Codes und Praktiken durchsetzen, wie beispielsweise erfundene Religionen, Pseudokulte, Parawissenschaften und Antiphilosophien, vor allem aber, indem sie unkontrollierbare Gerüchte in die Welt setzen, die Unzufriedenheit und Rebellion stiften … Sie verwenden alle denselben Namen, um nicht identifiziert werden zu können und damit es den Anschein hat, als wäre Luther Blisset so eine Art großer Guru, der hinter allen Lehren, Komplotten und Verschwörungen steckt.«
    »Ich habe kein Wort verstanden von dem, was du da erzählst. Außer der Tatsache, daß wir uns wieder an so einen Ausgerasteten wenden. Wie ist das nur möglich, daß du keine normalen Leute kennst, jemand, der richtig tickt?«
    »Nur ruhig, Partner. Luther ist auf Draht und gefällt dir bestimmt, da bin ich mir sicher.«
    Die Person, zu der wir unterwegs waren, wohnte auf dem Land bei Mestre, auf einem großen renovierten Bauernhof, wovon ein Teil als Tonstudio diente.
    Ich hatte Rossini nicht gesagt, daß Blisset in Wirklichkeit eine Blondine mit sehr schönen Beinen war. Daher war er von ihrem Anblick dermaßen verblüfft, daß er gleich zuckersüß wurde und alle kurz vorher geäußerten Zweifel auf der Stelle vergaß. Während wir noch mit dem Austausch von Höflichkeiten beschäftigt waren, schenkte er ihr die ganze Zeit sein breitestes Lächeln.
    Ich hatte sie kennengelernt, als ich noch mit meiner Band auftrat. Sie arbeitete als Tontechnikerin und war sehr gefragt. Ein paar Jahre lang hatte sie in Deutschland mit einer Frauenrockgruppe gearbeitet, und nach ihrer Rückkehr hatte sie sich selbständig gemacht und ein kleines, unabhängiges Label gegründet. Unsere Beziehung hatte genau eine Woche gedauert, gerade die Zeit einer kurzen Tournee der Old Red Alligators durch Ligurien, und später hatte sich eine schöne Freundschaft daraus entwickelt.
    »Wir stecken in Schwierigkeiten, Luther«, fing ich an. »Wir brauchen deine Hilfe.«
    Ich erzählte ihr nur einen Teil der Geschichte, aber das genügte schon, damit sie begriff, in wie großen Schwierigkeiten wir

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