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Die Wahrheit des Alligators

Die Wahrheit des Alligators

Titel: Die Wahrheit des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massimo Carlotto
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vage beantworten, den Ort kann ich allerdings genau nennen: Sardinien. Dort gibt es jemanden, der ein Problem hat. Er hat mich beauftragt, dich aufzuspüren und zu fragen, ob du nicht Zeit und Lust hättest, hinzufahren und dich mit ihm zu unterhalten, da würdest du dann erfahren, worum es geht. Spesenfrei, versteht sich. Die Platte ist ein Geschenk, um dir zu verstehen zu geben, daß du es mit Leuten zu tun hast, die. nun, zumindest einen guten Geschmack haben.«
    Ich folgte seinen Worten nur zerstreut. Ich merkte, daß ich von seiner Art zu gestikulieren fasziniert war. Seine Hände begleiteten den Rhythmus jedes einzelnen Satzes. Es war, als würden sie Kalimbas zupfen, die Häute von Kongas oder arabischen Trommeln schlagen.
    »Du bist Musiker!« rief ich aus und hielt ihm den Zeigefinger vor die Nase.
    »Schlagzeuger. Und Sänger.«
    »Was ist dein Genre?«
    »Ich habe mein eigenes. Heiße Ethnorhythmen, geschickt kombiniert.«
    »Von Blues keine Rede, nicht wahr?«
    »Der Tango ist der schwüle und schmachtende Blues von Baires, und die Morna der melancholische und rebellische Blues der Kapverden. Ich benutze sie oft.« Leise summte er mir Vuelvo al Sur von Astor Piazzolla und Sodade von Cesaria Evora vor, und der Calvados schmeckte plötzlich ganz anders.
    In diesem Moment kam der alte Rossini zurück, und ich bedeutete ihm, er brauche sich keine Sorgen zu machen. »Was trinkst du?« fragte ich.
    »Sieben Jahre alten Havanna, ein Rum, den ich ganz besonders gern mag.«
    »Immer nur den?«
    »Nein, ab und zu auch Bier und guten Wein.«
    »Der Rum ist wohl die einzige Erinnerung an eine Frau, die du auf Kuba verloren hast?«
    »Gefunden, nicht verloren.«
    Wir plauderten zwei Stunden lang. Über Frauen und über Musik. Er verstand was vom Trinken und war sehr unterhaltsam.
    »Wie würdest du das Problem, um das ich mich kümmern soll, bezeichnen?«
    »Heikel. Bei uns ist alles heikel. Was hast du beschlossen?«
    »Vorerst nichts. Viel hängt vom Ausgang der vertrackten Geschichte ab, mit der ich mich in diesen Tagen herumschlage. Ich geb dir Bescheid.«
    »Ich fahre morgen zurück«, sagte er und stand auf. »Wenn du mich finden willst, dreh nach Mitternacht eine Runde durch die Lokale von Cagliari.«
    Ich schüttelte ihm die Hand. Er hielt die meine fest. »Soll ich dir einen Rat geben?«
    »Nein.«
    »Ich geb ihn dir trotzdem. Wechsle das Musikgenre. Der Blues hat deine Seele angegriffen.«
    »Was wollte er damit sagen?« fragte Benjamino. »Daß ich die Musik nicht mehr mit dem Herzen höre, sondern mit der Erinnerung.«
    »Was?«
    »Schon gut, nur so ’n Gerede unter Musikern.«

    Um Punkt ein Uhr läutete ich an der Tür der Kanzlei von Rechtsanwalt Alvise Sartori. Eine halbe Stunde vorher hatten wir gehört, wie der Aufzug heraufkam. Es trat der Anwalt in Begleitung von Carlo Ventura heraus. Von den Carusos keine Spur. Ich war völlig steif, sämtliche Glieder taten mir weh, weil ich die feuchten Morgenstunden auf dem Zementboden der Terrasse zugebracht hatte. Ich habe lange wach gelegen, aber dann hatten Müdigkeit und Alkohol die Anspannung, in der ich mich befand, besiegt, und so war ich für ein paar Stunden eingeschlafen. Als ich die Augen wieder aufschlug, hatte ich Benjamino neben mir sitzen sehen, er hatte das Maschinengewehr um den Nacken gehängt und hielt neben mir Wache.
    Der Partner des Anwalts machte mir die Tür auf.
    »Dottor Ventura, meine Verehrung«, begrüßte ich ihn.
    Er würdigte mich keiner Antwort und führte mich in einen großen Raum, vermutlich das Konferenzzimmer der Kanzlei. An einem Ende eines großen, ovalen Tisches saß Sartori, der mich mit einem spöttischen Lächeln empfing.
    »Marco Buratti, genannt der Alligator: gescheiterter Student, gescheiterter Musiker, gescheiterter Terrorist, gescheiterter Privatdetektiv.«
    »Mehr als mein eigenes Leben, scheint mir, schildern Sie hier das Leben von Marco Ventura. Auf keinem Gebiet hat er es zu etwas gebracht, außer im Morden. Apropos«, ich wandte mich an Ventura, »wo haben Sie ihn denn diesmal versteckt? In einer Schweizer Klinik vielleicht?«
    Ventura strich sich mit der Hand über die Haare und sah mich haßerfüllt an.
    »Hat es Ihrem Partner die Sprache verschlagen?« fragte ich den Anwalt.
    »Setzen Sie sich, Buratti, und erklären Sie uns, weswegen Sie uns treffen wollten«, versetzte dieser knapp.
    Bemüht, eine Ruhe vorzutäuschen, die ich nicht empfand, zündete ich mir eine Zigarette an.
    »Ich will verhandeln.

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