Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
Vom Netzwerk:
fesselte die Menschen, und auf der Suche nach weiterführenden Erklärungen wurden Psychiater hinzugezogen: Handelte es sich um eine typische Erkrankung? War sie ein Vorzeichen der tragischen Ereignisse gewesen? Ein Leck bei der Polizei führte zur Verbreitung von Aufnahmen des bei Elijah Stern gefundenen Gemäldes, was den wildesten Spekulationen Tür und Tor öffnete: Alle fragten sich, warum Stern, dieser mächtige und geachtete Mann, die Sitzungen zu einem Aktgemälde einer Fünfzehnjährigen gefördert hatte.
    Der Staatsanwalt geriet in Bedrängnis: Manche warfen ihm vor, fahrlässig gehandelt und Queberts Fiasko dadurch beschleunigt zu haben. Einige waren sogar der Ansicht, dass er mit der Unterzeichnung des Augustberichts sein eigenes Karriereende besiegelt hatte. Davor bewahrte ihn zumindest teilweise Gahalowood, der in seiner Eigenschaft als Leiter der polizeilichen Ermittlungen eine Pressekonferenz einberief und mitteilte, er selbst habe Harry Quebert verhaften lassen, aber auch dafür gesorgt, dass Quebert wieder freigekommen sei, was weder ein Widerspruch noch eine Fehlleistung sei, sondern lediglich ein Beweis dafür, dass die Justiz ordnungsgemäß funktioniere. »Wir haben niemanden zu Unrecht eingesperrt«, erläuterte er den zahlreich erschienenen Journalisten. »Wir hatten Verdachtsmomente, und wir haben sie zerstreut. In beiden Fällen sind wir konsequent vorgegangen. Das ist die Arbeit der Polizei.« Um zu erklären, warum es so viele Jahre gedauert hatte, den Täter dingfest zu machen führte er seine »Theorie der Einkreisung« an: Nola sei das zentrale Element gewesen, um das viele andere Elemente kreisten. Diese habe man eines nach dem anderen isoliert betrachten müssen, um ihren Mörder zu finden. Allerdings habe diese Aufgabe nur aufgrund des Leichenfunds gemeistert werden können. »Sie sagen, wir hätten dreiunddreißig Jahre gebraucht, um diesen Mordfall aufzuklären«, erinnerte er seine Zuhörer, »dabei haben wir in Wahrheit lediglich zwei Monate gebraucht. Die restliche Zeit über gab es nämlich weder eine Leiche noch einen Mord. Nur ein verschwundenes Mädchen.«
    Einer verstand überhaupt nichts mehr, und das war Benjamin Roth. Eines Nachmittags lief ich ihm in Concord in der Kosmetikabteilung eines großen Einkaufcenters zufällig über den Weg, und er sagte zu mir: »Es ist komisch. Gestern habe ich Harry in seinem Motel besucht. Man könnte meinen, er freue sich gar nicht darüber, dass die Anklage fallen gelassen wurde.«
    »Er ist traurig«, erklärte ich ihm.
    »Traurig? Wir haben gewonnen, und er ist traurig?«
    »Er ist traurig, weil Nola tot ist.«
    »Aber sie ist schon seit dreißig Jahren tot!«
    »Jetzt ist sie wirklich tot.«
    »Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen, Goldman.«
    »Das wundert mich nicht.«
    »Na, jedenfalls bin ich bei ihm vorbeigefahren, um ihm zu sagen, dass er sich um sein Haus kümmern soll. Ich habe mit der Versicherung gesprochen. Sie kommt für alles auf, aber er muss sich mit einem Architekten kurzschließen und entscheiden, was aus dem Haus werden soll. Er machte den Eindruck, als wäre ihm das schnurzegal. Alles, was er herausbrachte, war: ›Fahren Sie mich hin.‹ Also sind wir hingefahren. Im Haus ist noch jede Menge Kram, wussten Sie das? Er hat alles drin gelassen, auch die unversehrten Möbel und Gegenstände. Er sagt, dass er das alles nicht mehr braucht. Wir sind über eine Stunde drin gewesen. Dabei habe ich mir meine Sechshundert-Dollar-Treter ruiniert! Ich habe ihm gezeigt, was er mitnehmen könnte, vor allem von seinen Antiquitäten. Ich habe ihm vorgeschlagen, eine Wand einzureißen und das Wohnzimmer zu vergrößern, und ich habe ihn daran erinnert, dass wir den Staat wegen des moralischen Schadens, den er durch die Sache erlitten hat, verklagen und ein hübsches Sümmchen fordern könnten. Aber darauf ist er überhaupt nicht eingegangen. Dann habe ich ihm den Vorschlag gemacht, eine Umzugsfirma damit zu beauftragen, alles, was noch heil ist, in ein Möbellager zu schaffen, und ich habe gesagt, dass er noch Glück gehabt hat, weil es bisher weder geregnet hat noch ein Dieb aufgetaucht ist, aber er hat geantwortet, der Aufwand würde sich nicht lohnen. Er hat sogar noch hinzugefügt, dass es ihm nichts ausmachen würde, wenn man ihn bestehlen würde, denn dann würden die Möbel wenigstens jemandem nützen. Verstehen Sie das, Goldman?«
    »Ja. Er hat für das Haus keine Verwendung mehr.«
    »Keine Verwendung mehr?

Weitere Kostenlose Bücher