Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
über die er sich ausgiebig in den Medien verbreitet hatte, in Wirklichkeit eine Investition in die Werbung gewesen war: Statt das Geld in verkaufsfördernde Maßnahmen oder in Plakate zu stecken, hatte er es eingesetzt, um das öffentliche Interesse zu schüren. Er machte im Übrigen keinen Hehl daraus, als ich ihn darauf ansprach, sondern erläuterte mir seine Theorie zu diesem Thema: Seiner Meinung nach waren die Marktregeln durch das Aufkommen von Internet und sozialen Netzwerken über den Haufen geworfen worden.
»Überlegen Sie doch mal, Marcus, wie viel ein einziger Werbeplatz in der New Yorker U-Bahn kostet! Ein Vermögen! Man zahlt viel Geld für ein Plakat von begrenzter Lebensdauer, das nur von einer begrenzten Zahl von Menschen gesehen wird, denn diese müssen erstens in New York sein und zweitens innerhalb eines bestimmten Zeitraums genau diese U-Bahn-Linie an genau dieser U-Bahn-Station nehmen. Dabei reicht es mittlerweile, auf irgendeine Weise das allgemeine Interesse zu wecken, einen buzz auszulösen, wie man sagt, also von sich reden zu machen und darauf zu vertrauen, dass die Leute in den sozialen Netzwerken über einen schreiben: So erhält man Zugang zu einem kostenlosen, unbegrenzten Werberaum. Menschen rund um die Welt übernehmen es, auf dem ganzen Erdball für einen die Werbetrommel zu rühren, ohne sich dessen bewusst zu sein. Ist das nicht unglaublich? Die Nutzer von Facebook sind nichts anderes als kostenlose Werbeplakate. Es wäre dumm, sie nicht zu benutzen.«
»Und das haben Sie gemacht, stimmt’s?«
»Als ich für Sie eine Million Dollar lockergemacht habe? Ja. Zahlen Sie jemandem, der ein Buch für Sie schreibt, ein Gehalt wie einem Profispieler der NBA oder NHL , und Sie können sich darauf verlassen, dass alle darüber reden.«
Am New Yorker Firmensitz von Schmid & Hanson war die Anspannung auf dem Höhepunkt. Man hatte Teams gebildet, um die Herstellung und weitere Betreuung des Buchs zu gewährleisten. Ich erhielt per FedEx ein Gerät für Telefonkonferenzen, mit dem ich mich von meiner Suite im Regent’s aus in sämtliche Besprechungen in Manhattan einklinken konnte: in Besprechungen mit dem Marketingteam, das für die Absatzförderung zuständig war, Besprechungen mit dem Grafikteam, das das Cover gestalten sollte, Besprechungen mit der Rechtsabteilung, die sich mit allen juristischen Aspekten rund um das Buch befasste, und schließlich Besprechungen mit einem Team von Ghostwritern, die Barnaski bei einigen berühmten Autoren einsetzte und mir unbedingt aufdrängen wollte.
2. Telefonkonferenz (mit den Ghostwritern)
»In drei Wochen muss das Buch fertig sein«, sagte Barnaski zum zehnten Mal zu mir. »Danach bleiben uns zehn Tage für das Lektorat und eine Woche für den Druck. Das heißt, Mitte September lassen wir es auf die Menschheit los. Schaffen Sie das?«
»Ja, Roy.«
»Falls nötig, kommen wir sofort«, brüllte der Chef der Ghostwriter, ein gewisser François Lancaster, im Hintergrund. »Wir nehmen den ersten Flieger nach Concord und sind schon morgen da, um Ihnen zu helfen.«
Ich hörte die anderen blöken: Ja, sie könnten schon morgen da sein, das wäre doch großartig.
»Großartig wäre, wenn Sie mich in Ruhe arbeiten lassen würden«, erwiderte ich. »Ich mache das Buch allein.«
»Aber die Jungs sind wirklich gut«, insistierte Barnaski. »Nicht mal Sie selbst würden den Unterschied merken!«
»Ja, nicht mal Sie würden den Unterschied merken«, echote François. »Warum arbeiten, wenn Sie es nicht müssen?«
»Keine Sorge, ich halte den Termin ein.«
4. Telefonkonferenz (mit dem Marketingteam)
»Mr Goldman«, wandte sich Sandra vom Marketing an mich, »wir bräuchten Fotos von Ihnen beim Schreiben des Buchs, Archivfotos von Harry und Aufnahmen von Aurora. Und Ihre Begleitnotizen zum Buch.«
»Ja, Ihre kompletten Notizen!«, legte Barnaski nach.
»Ja … gut … Aber wozu?«, fragte ich.
»Wir möchten gern ein Buch zum Buch herausbringen«, erklärte mir Sandra. »Sozusagen ein reich illustriertes Logbuch. Das wird der Renner! Alle, die Ihr Buch kaufen, werden auch das Buch zum Buch haben wollen, und umgekehrt. Sie werden sehen!«
Ich seufzte. »Meinen Sie nicht auch, dass ich im Augenblick anderes zu tun habe, als ein Buch zu einem Buch vorzubereiten, das ich noch gar nicht fertig habe?«
»Noch nicht fertig?«, rief Barnaski hysterisch dazwischen. »Ich schicke sofort die Ghostwriter los!«
»Sie schicken niemanden! Um Himmels willen,
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