Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
lassen Sie mich mein Buch in Ruhe zu Ende schreiben!«
6. Telefonkonferenz (mit den Ghostwritern)
»Wir haben geschrieben, dass Caleb weint, als er die Kleine vergräbt«, verkündete mir François Lancaster.
»Was soll das heißen: Wir haben geschrieben ?«
»Ja, er vergräbt die Kleine und weint dabei. Die Tränen tropfen ins Grab, und es entsteht Schlamm. Das ist eine hübsche Szene, Sie werden sehen.«
»Herrgott noch mal! Habe ich Sie gebeten, eine hübsche Szene darüber zu schreiben, wie Caleb Nola vergräbt?«
»Also … Nein … Aber Mr Barnaski hat zu mir gesagt …«
»Barnaski? Hallo, Roy, sind Sie da? Hallo? Hallo?«
»Äh … Ja, Marcus, ich bin hier …«
»Was hat das zu bedeuten?«
»Regen Sie sich nicht auf, Marcus. Ich kann nicht riskieren, dass das Buch nicht rechtzeitig fertig wird. Also habe ich sie gebeten, es weiterzuschreiben, nur für den Fall der Fälle. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Wenn Sie deren Texte nicht wollen, verwenden wir sie eben nicht. Aber stellen Sie sich vor, Sie haben keine Zeit mehr, das Buch zu beenden! Dann ist das unser Rettungsring!«
10. Telefonkonferenz (mit der Rechtsabteilung)
»Guten Tag, Mr Goldman, hier Richardson von der Rechtsabteilung. Wir haben alles gründlich geprüft und geben grünes Licht: Sie können in Ihrem Buch Eigennamen wie Stern, Pratt, Caleb usw. verwenden. Alles, was Sie schreiben, steht auch im Bericht des Staatsanwalts, und den haben die Medien aufgegriffen. Wir sind also abgesichert und gehen kein Risiko ein. Es wird nichts erfunden und niemand diffamiert, es geht um Fakten und sonst nichts.«
»Das Rechtsteam sagt, Sie können auch Sexszenen und Orgien einfügen, wenn Sie sie als Hirngespinste oder Träume hinstellen«, schaltete sich Barnaski ein. »Nicht wahr, Richardson?«
»Absolut. Das habe ich Ihnen ja schon gesagt. Ihre Hauptfigur darf von sexuellen Handlungen träumen. Auf diese Weise können Sie Sexszenen in Ihr Buch einbauen, ohne einen Prozess zu riskieren.«
»Ja, ein bisschen mehr Sex, Marcus«, meldete sich Barnaski wieder zu Wort. »François hat neulich zu mir gesagt, Ihr Buch ist zwar sehr gut, aber leider fehlt ihm der Pfeffer. Die Kleine war damals fünfzehn, Quebert knapp über dreißig! Bringen Sie die Suppe zum Kochen! Caliente , wie man in Mexiko sagt.«
»Sind Sie total übergeschnappt, Roy?«, rief ich.
»Vermasseln Sie nicht alles, Goldman«, antwortete Barnaski mit einem Seufzer. »Geschichten über die Unschuld vom Lande finden die Leute total öde!«
12. Telefonkonferenz (mit Roy Barnaski)
»Hallo, Roy?«
»Wieso Roy ?«
»Mama?«
»Markie?«
»Mama?«
»Markie? Bist du das? Wer ist Roy?«
»Scheiße, ich habe mich verwählt.«
»Verwählt? Er ruft seine Mutter an und sagt: Scheiße, ich habe mich verwählt! «
»Das ist mir rausgerutscht, Mama. Ich muss Roy Barnaski anrufen und habe geistesabwesend deine Nummer gewählt. Ich war in Gedanken woanders.«
»Er ruft seine Mutter an, obwohl er in Gedanken woanders ist. Das wird ja immer besser! Da bringt man ein Kind zur Welt, und was hat man davon? Nichts.«
»Es tut mir leid, Mama. Gib Papa einen Kuss. Ich rufe dich wieder an.«
»Halt!«
»Was ist?«
»Hast du nicht einmal eine Minute für deine arme Mutter? Hat deine Mutter, die dich zu so einem schönen Mann und großen Schriftsteller gemacht hat, nicht ein paar Sekunden deiner Zeit verdient? Erinnerst du dich an den kleinen Jeremy Johnson?«
»Jeremy? Ja, wir waren zusammen in der Schule. Warum fragst du mich das?«
»Seine Mutter war tot, erinnerst du dich? Nun, glaubst du nicht auch, dass er gern zum Telefonhörer greifen würde, um mit seiner lieben kleinen Mama zu sprechen, die bei den Engeln im Himmel ist? Es gibt keine Telefonleitung in den Himmel, Markie, aber es gibt eine nach Montclair! Versuch ab und zu daran zu denken.«
»Jeremy Johnsons Mutter war nicht tot! Das hat er den anderen nur weisgemacht, weil sie so einen hässlichen dunklen Flaum auf den Backen hatte, der wie ein Bart aussah, und ihn alle anderen Kinder deshalb gehänselt haben. Da hat er einfach behauptet, dass seine Mutter tot und diese Frau sein Kindermädchen wäre.«
»Was? Das bärtige Kindermädchen von den Johnsons war seine Mutter?«
»Ja, Mama.«
Ich hörte meine Mutter aufgeregt nach meinem Vater rufen. »Nelson, komm schnell, hörst du? Es gibt da einen plotke , den musst du dir anhören: Die bärtige Frau bei den Johnsons, das war die Mutter! Wie: Das wusstest du ? Und warum hast du mir
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