Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
viel! Lassen Sie uns doch heute Abend ins Kino gehen.‹«
»Und er hat Ja gesagt …«
»Sofort! Ohne eine Sekunde zu zögern!«
»Siehst du? Das ist so, als wäre es seine Idee gewesen.«
»Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich ihn beim Schreiben störe … Immerhin schreibt er über mich. Das weiß ich, weil ich einen seiner Texte gesehen habe. Da stand, dass er nur ins Clark’s kommt, um mich zu sehen.«
»Oh, mein Schatz! Was ist das aufregend!«
Tamara schnappte sich den Schminkkasten und malte das Gesicht ihrer Tochter noch mehr an. Dabei träumte sie vor sich hin. Er schrieb also ein Buch über ihre Tochter: Schon bald wären das Clark’s und Jenny in New York in aller Munde. Bestimmt würde auch ein Film gedreht werden. Was für Aussichten! Dieser Quebert war die Erhörung all ihrer Gebete. Sie hatten recht daran getan, als gute Christen zu leben, nun wurden sie dafür belohnt. Sie dachte angestrengt nach: Für kommenden Sonntag musste unbedingt eine Gartenparty organisiert werden, um die Sache offiziell zu machen. Die Frist war kurz, aber die Zeit drängte. Am darauffolgenden Samstag fand schon der Sommerball statt, und da sollte, baff vor Staunen und neidisch, am Arm des großen Schriftstellers die ganze Stadt ihre Jenny sehen. Also mussten ihre Freundinnen Jenny und Harry noch vorher zusammen erleben, damit sich die Neuigkeit in Aurora herumsprach und die beiden auf dem Ball die Attraktion des Abends wären. Ach, was für ein Glück! Sie hatte sich um ihre Tochter solche Sorgen gemacht: Genauso gut hätte sie in den Armen eines Fernfahrers auf der Durchreise landen können. Oder, schlimmer noch: eines Sozialisten. Oder, noch schlimmer: eines Negers! Allein die Vorstellung ließ sie erschauern: ihre Jenny und so ein grässlicher Neger! Plötzlich packte sie die Angst: Viele berühmte Schriftsteller waren Juden. Und wenn Quebert Jude war? Entsetzlich! Vielleicht sogar ein sozialistischer Jude? Zu ärgerlich, dass die Juden weiß und damit geradezu getarnt waren. Die Schwarzen besaßen immerhin den Anstand, schwarz, also leicht erkennbar zu sein. Aber die Juden waren gerissen. Tamara spürte wie ihr Magen sich zusammenzog. Seit der Rosenberg-Affäre hatte sie große Angst vor Juden. Immerhin hatten sie den Sowjets die Atombombe zugespielt. Wie konnte sie herausfinden, ob Quebert einer war? Plötzlich hatte sie eine Idee. Sie sah auf die Uhr: Ihr blieb gerade noch Zeit, um in den Laden zu fahren, bevor er kam. Sie beeilte sich, um rechtzeitig zurück zu sein.
Um fünfzehn Uhr zwanzig hielt ein schwarzer Chevrolet Monte Carlo vor dem Haus der Quinns. Robert Quinn staunte nicht schlecht, als er Harry Quebert aus dem Wagen steigen sah, denn für dieses Modell schwärmte er besonders. Außerdem fiel ihm auf, dass der berühmte Schriftsteller ganz leger gekleidet war. Dennoch begrüßte Robert ihn höchst feierlich und bot ihm sofort etwas sehr Schickes zu trinken an, wie es ihm seine Frau aufgetragen hatte.
»Champagner?«, dröhnte er.
»Äh, ehrlich gesagt, mache ich mir nicht sehr viel aus Champagner«, antwortete Harry. »Vielleicht einfach nur ein Bier, wenn Sie welches haben …«
»Selbstverständlich!« Robert entspannte sich sofort. Mit Bier kannte er sich aus. Er besaß sogar ein Buch über sämtliche amerikanische Biersorten. Rasch holte er zwei Flaschen aus dem Kühlschrank und verkündete seinen Damen im ersten Stock im Vorbeigehen, dass der Gar-nicht-so-schicke-Quebert gekommen sei. Die beiden Männer machten es sich mit hochgekrempelten Ärmeln auf der Veranda bequem, stießen mit den Bierflaschen an und unterhielten sich über Autos.
»Warum ein Monte Carlo?«, fragte Robert. »Ich meine, Sie könnten sich doch jedes Auto leisten, und trotzdem haben Sie sich für einen Monte Carlo entschieden …«
»Er ist sportlich und obendrein praktisch. Außerdem mag ich die Form.«
»Ich auch! Letztes Jahr wäre ich um ein Haar schwach geworden!«
»Das hätten Sie mal tun sollen.«
»Meine Frau wollte nicht.«
»Sie hätten zuerst das Auto kaufen und sie dann nach ihrer Meinung fragen sollen.«
Robert lachte schallend. Dieser Quebert war eigentlich ein ganz normaler, freundlicher und vor allem sehr sympathischer Zeitgenosse. In diesem Augenblick kam Tamara angehetzt, und bot an, was sie auf die Schnelle im Laden gekauft hatte: Speck und Aufschnitt vom Schwein. Sie krähte: »Guten Tag, Mr Quebert! Willkommen! Möchten Sie etwas Schweinefleisch?« Harry begrüßte sie und nahm
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