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Die Wahrheit und andere Lügen

Die Wahrheit und andere Lügen

Titel: Die Wahrheit und andere Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Arango
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fokussiert. »Er hat mich nach Herrn Hayden gefragt!«
    Â»Ja. Viele tun das. Und wir schützen die Privatsphäre unserer Autoren, oder?«
    Dieses » oder « ließ Honor keinen anderen Ausweg, als zu antworten. »Ich arbeite seit sehr vielen Jahren hier, Betty , und wenn es etwas gibt, was mir heilig ist, dann die Privatsphäre unserer Autoren. Das müssten Sie wissen.«
    Â»Ich weiß nur, dass Sie es waren.« Mit diesen Worten war Betty auch schon zur Tür hinaus und ließ Honor Eisendraht mit sehr gemischten Gefühlen zurück.
    Â»Sie hat was getan?«
    Henry sprang auf und lief vor den Panoramafenstern des Ateliers auf und ab. Sofort erhob sich der Hovawart von seinem Platz unter dem Couchtisch und schlich mit eingezogenem Schwanz aus dem Raum. Er würde erst zurückkehren, wenn sein empfindliches Gespür für schlechte Stimmung Entwarnung gab.
    Vor Betty auf dem Tisch lag der Umschlag mit den Ultraschallbildern des Fötus. Vom Kanapee aus folgte sie Henry mit den Augen. Im Gegenlicht sah sie seinen Umriss wandern, ein rastloser Schatten.
    Â»Der Umschlag ging direkt an Moreany«, fuhr sie fort. »Sie hat in der Praxis angerufen und gebeten, die Bilder an seine Adresse im Verlag zu schicken.«
    Â»Die Eisendraht?«
    Â»Sie muss es sein. Es war eine Frau. Sie hat sich für mich ausgegeben, sie wusste, wie alt ich bin, wo ich wohne und dass ich schwanger bin.«
    Henry wendete Betty für einen Augenblick den Rücken zu und schaute auf die Felder. Es war noch nicht zehn Uhr vormittags, und die Sonne brannte herab, keine Wolke war am Himmel, nur ein Storch kreiste in großer Höhe. Es würde ein heißer Tag werden.
    Â»Wie kann sie das wissen?«, fragte er ohne sich umzudrehen.
    Â»Von mir nicht.« Betty zog sich einen Schuh aus und zog das Bein zu sich auf das Kanapee. »Und nein«, fügte Betty hinzu, »ich habe Moreany nichts erzählt, kein Mensch außer der Ärztin wusste davon. Gestern kam übrigens der Versicherungsmensch und wollte die Autoschlüssel für den Subaru haben. Ich konnte ihm keinen geben.«
    Obwohl sie im Gegenlicht Henrys Augen nicht sah, meinte sie, seinen bohrenden Blick zu spüren.
    Â»Keinen? Du hast keinen Schlüssel mehr?«
    Â»Nein.« Betty beugte sich vor und nahm das Kuvert vom Couchtisch. »Es war deine Idee, ihn als gestohlen zu melden. Warum benehmen wir uns wie Verbrecher, Henry? Warum tun wir uns das an, statt einfach um deine Frau zu trauern und uns über unser Kind zu freuen?«
    Sie beschattete die Augen, um Henry sehen zu können.
    Â»Kannst du bitte aus dem Licht kommen? Ich kann dich nicht sehen.«
    Henry ließ die elektrischen Jalousien herunter, es wurde sofort etwas kühler und angenehm dämmrig in dem großen Raum. Henry wurde wieder sichtbar.
    Â»Ich geh zur Polizei, Henry. Es hat keinen Sinn mehr.«
    Â»Ah«, sagte er leise, und dann nach einer langen Pause, »du weißt, was dann passiert?«
    Â»Ich weiß nicht, was dann passiert. Weißt du es?«
    Betty zog die CD aus dem Umschlag, das Licht darauf brach sich zu Spektralfarben. Sie drehte die CD in der Hand. Sie ist bereits im gepanzerten Muttermodus, schoss es Henry durch den Kopf, sie hat keine Angst mehr vor mir, sie will nur das Kind retten.
    Â»Was dann passiert, ist mir offen gestanden egal«, erwiderte Betty. »Ich denke, die Wahrheit ist unsere beste Option. Ich will nicht, dass unser Kind im Gefängnis zur Welt kommt. Möchtest du’s nicht mal sehen?«
    Henry starrte auf die silberne Scheibe in ihrer Hand. Alles hatte mit diesem Bild angefangen. Ein kleines Foto von einem lebendigen Stück Gewebe, nicht größer als eine Streichholzschachtel. Beim Anblick des Fötus war der Dämon in ihm wach geworden, sein alter Kumpel und Beschützer aus schwierigen Zeiten. Folge mir, hatte er geflüstert, und Henry war ihm wieder gefolgt. Er war mit ihm zu den Klippen gefahren, um seine Frau zu töten, war ihm ins Gebälk seines Hauses nachgekrochen, wo der Marder noch immer auf ihn wartete. Er war es, der ihm verriet, welches die richtige Kurve war, um auf seinen Feind zu lauern, und jetzt flüsterte er ihm seinen dunklen Plan ins Ohr.
    Â»Der Roman ist fertig.«
    Betty blickte ihn überrascht an. »Wirklich?«
    Â»Ja. Mit einem Mal sah ich das Ende. Dann hab ich mich hingesetzt und geschrieben. Die ganzen letzten Nächte.«
    Sie

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