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Die Wahrheit und andere Lügen

Die Wahrheit und andere Lügen

Titel: Die Wahrheit und andere Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Arango
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uns?«
    Bevor Moreany antworten konnte, hob Henry die Hand. »Ich möchte etwas sagen, das uns hier alle angeht. Vor kurzer Zeit habe ich meine Frau verloren.« Henry machte eine Pause, um sich zu sammeln. »Wie Sie vielleicht schon wissen, ist mit Betty auch das Manuskript meines Romans verschwunden, an dem ich lange gearbeitet habe.«
    Henry schaute zu Moreany, der nickte. »Das habe ich der Polizei eben schon gesagt.«
    Â»Vor ein paar Tagen«, fuhr Henry fort, »traf ich Betty im Hotel Vier Jahreszeiten. Sie war … überdreht und verängstigt, nicht mehr sie selbst. Sie hatte Angst.«
    Der Untersetzte zückte ein Aufnahmegerät. »Haben Sie was dagegen, wenn ich das hier aufzeichne?«
    Â»Ãœberhaupt nicht. Wir haben uns also in die Oyster Bar gesetzt und über den Roman gesprochen. Ich sprach von meinen Schwierigkeiten, nach Marthas Tod überhaupt noch zu schreiben. Sie hörte kaum zu, ich habe sie gefragt, was los sei mit ihr, da ist es aus ihr herausgebrochen. Sie hat mir erzählt, dass sie schwanger ist.«
    Honor lehnte sich an die Wand des Büros. Ihr wurde ein wenig schwindlig.
    Â»Hat sie einen Namen genannt?«, fragte Jenssen, dem es sichtlich unangenehm war, dieses Gespräch vor den anderen Zeugen zu führen.
    Â»Nein. Sie sprach von einem katastrophalen Fehler, den sie begangen habe, für eine Abtreibung sei es längst zu spät.«
    Â»Denken Sie, sie wurde vergewaltigt?«, fragte das Opossum.
    Â»Möchte ich nicht ausschließen. Jedenfalls sprach sie von einem Mann, vor dem sie sich fürchtete. Er sei gefährlich und unberechenbar, sie habe das Verhältnis mit ihm beendet, fürchte nun seine Rache. Er hat sie wohl ständig angerufen und damit gedroht, die Ultraschallbilder des Kindes an den Verlag zu schicken, sie meinte, er habe ihren Wagen gestohlen.«
    Â»Mitsamt den Autoschlüsseln?«, fragte Jenssen ungläubig.
    Â»Davon weiß ich nichts.«
    Jenssen begann kopfschüttelnd Notizen zu machen.
    Â»Ich habe Betty geraten, zur Polizei zu gehen, und ihr angeboten, ein paar Tage zu mir zu ziehen, sie hat abgelehnt. Dann wurde ihr übel, sie musste auf die Toilette, kam nicht wieder zurück, und ich bin nach Hause gefahren, um am Roman zu arbeiten. Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe. Heute mache ich mir Vorwürfe, dass ich nicht gleich zur Polizei gegangen bin. Sie war in Bedrängnis, in Gefahr, ich hätte sie nicht allein lassen sollen.«
    Â»Das kann ich bestätigen«, sagte Honor mit leiser Stimme. Sie war an der Wand in sich zusammengesunken. »Ich war zufällig an dem Tag, das war der Dienstag vor elf Tagen, auch in der Lobby des Hotels. Ich habe gesehen, wie Betty auf die Toilette ging. Sie musste sich übergeben und hat geweint. Sehr geweint. Herr Hayden kam aus der Oyster Bar und verließ das Hotel. Er hat mich nicht gesehen.«
    Moreany erhob sich mühsam aus seinem Stuhl und ließ Honor darin sitzen. Er nahm hinter seinem Schreibtisch Platz und verzog das Gesicht im Schmerz.
    Â»Wir haben dich unterbrochen, Henry.«
    Â»Ich will nur noch eines sagen«, schloss Henry ab. »Wenn Betty tot ist, und es war, wie Herr Jenssen sagt, keine Zufallstat, sondern Mord, dann müssen Sie nach dem Vater ihres Kindes suchen.«
    Es herrschte Konzertstille in Moreanys Büro, nur ein vereinzelter Huster war noch zu hören.

XIX
    C hefermittler Awner Blum leitete das Dezernat 9 für vorsätzliche Tötung mit drei Mordkommissionen. Ihm ging der Ruf voraus, ein Genie der Fallanalyse zu sein, was man in Film und Fernsehen für gewöhnlich Profiling nennt. Einige Male erstellten seine Mordkommissionen tatsächlich derart exakte Profile des Täters, dass überführte Mörder ihm aus dem Ge fängnis gratulierten. Blum hatte keinen blassen Schimmer von Psychologie, verfügte aber über ein übermenschliches Gespür für Personalmanagement. Deshalb war er für die leitende Position einer Mordkommission wie geschaffen. Nach Manier eines Headhunters rekrutierte er die besten Fachkräfte in seine Mordkommissionen und erreichte damit eine Aufklärungsquote von hundert Prozent. In drei aufeinanderfolgenden Jahren war ihm das bereits gelungen. Blum war ein Womanizer und monologisierte gerne, seine mit englischen Zitaten gespickten Vorträge über Täterprofile zogen sich mitunter quälend in die Länge, Jenssen fand,

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