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Die Wahrheit

Die Wahrheit

Titel: Die Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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nur gehört habe.«
    Als Fiske zu Williams hinüberschaute, wurde sein Ausdruck ein wenig milder. Man wußte ja nie, wann man mal einen Gefallen brauchte. »Euer Ehren, die faktischen und juristischen Fehler im Antrag der Staatsanwaltschaft sind gewiß auf die Arbeitsüberlastung der Anwälte zurückzuführen und stellen bestimmt keine Absicht dar. Ich verringere mein Vergleichsangebot auf fünfhundert Dollar, verlange aber, daß eine offizielle Entschuldigung der Staatsanwaltschaft zu den Akten genommen wird. Ich hätte letzte Nacht wirklich etwas Schlaf gebrauchen können.« Die letzte Bemerkung rief allgemeines Gelächter im Saal hervor.
    Plötzlich erklang aus dem hinteren Bereich des Sitzungssaales eine dröhnende Stimme. »Richter Walters, falls ich mich dazu äußern darf - die Staatsanwaltschaft nimmt dieses Angebot an.«
    Alle schauten zu dem Rufer hinüber, einem kleinen, fast kahlköpfigen, dicken Mann in einem Leinenanzug mit Kreppstreifen. Sein haariger Nacken wurde von dem steifen Kragen eingezwängt. »Wir nehmen das Angebot an«, wiederholte der Mann mit heiserer, von jahrzehntelangem Rauchen dunkler Stimme, die zugleich den angenehmen, gedehnten Akzent eines Mannes aufwies, der sein ganzes Leben in Virginia verbracht hatte. »Und wir entschuldigen uns beim Gericht dafür, seine kostbare Zeit verschwendet zu haben.«
    »Es freut mich, daß Sie gerade zufällig hereingeschaut haben, Mr. Graham«, sagte Walters.
    Bobby Graham, der Staatsanwalt von Richmond, nickte knapp und verließ den Saal dann durch die Doppelglastür. Er hatte Fiske keine Entschuldigung der Staatsanwaltschaft angeboten, doch der Verteidiger beharrte auch gar nicht darauf. Vor Gericht bekam man nur selten alles, was man verlangte.
    »Der Antrag der Staatsanwaltschaft wird kostenpflichtig abgewiesen«, erklärte Richter Walters und schaute Williams an. »Mr. Williams, ich glaube, Sie sollten wirklich ein Bier mit Mr. Fiske trinken. Aber Sie sollten es ihm ausgeben, mein Sohn.«
    Als der nächste Fall aufgerufen wurde, schnappte Fiske seinen Aktenkoffer und verließ den Saal. Williams folgte ihm auf dem Fuße.
    »Sie hätten mein erstes Angebot annehmen sollen, Paulie.«
    »Das werde ich nicht vergessen, Fiske«, sagte Williams wütend.
    »Bloß nicht!«
    »Wir werden Jerome Hicks trotzdem einbuchten«, schnaubte Williams. »Glauben Sie ja nicht, daß wir aufgeben.«
    Für Paulie Williams und die meisten anderen städtischen Staatsanwälte, mit denen Fiske zu tun hatte, waren die Mandanten lebenslange persönliche Feinde, die allesamt die härtesten Strafen verdienten. Das wußte Fiske nur zu gut. Und er wußte, daß die Staatsanwaltschaft bei manchen Angeklagten goldrichtig damit lag. Aber nicht bei allen.
    »Wissen Sie, worüber ich gerade nachdenke?« wandte Fiske sich an den Staatsanwalt. »Ich frage mich, wie schnell zehntausend Jahre vergehen können.«
    Als Fiske den Gerichtssaal im zweiten Stock verließ, kamen ihm Polizeibeamte entgegen, mit denen er zusammengearbeitet hatte, als er noch Cop in Richmond gewesen war. Einer von ihnen lächelte und nickte zum Gruß, die anderen aber schauten Fiske nicht einmal an. Für sie war er ein Verräter an der Truppe; er hatte Dienstmarke und Waffe gegen Anzug und Aktenkoffer eingetauscht. War jetzt Sprachrohr der anderen Seite. In der Hölle sollst du schmoren, Bruder Fiske!
    Fiske schaute zu einer Gruppe junger Schwarzer hinüber, deren Bürstenhaarschnitt so kurz war, daß sie geradezu kahlgeschoren wirkten. Die Hosen hingen bis zum Schritt hinab. Man konnte ihre Boxershorts sehen, weite Lederjacken, unförmige Tennisschuhe ohne Schnürsenkel. Ihr offener Trotz gegen das Strafrechtssystem war mehr als deutlich.
    Die jungen Männer drängten sich um ihren Anwalt, einen Weißen, dickleibig vom vielen Sitzen im Büro, verschwitzt; die Manschetten seines Hemds unter dem teuren Nadelstreifenanzug waren speckig, die Halbschuhe ausgelatscht, und die Hornbrille saß ein wenig schief auf der Nase, während er seinen Pfadfindern etwas einzuhämmern versuchte. Er schlug mit der Faust in eine fleischige Handfläche, als er zu den jungen Schwarzen redete. Mit den nackten Oberkörpern unter den geöffneten Seidenhemden, die sie sich vom Drogengeld gekauft hatten, boten sie ein beinahe lächerliches Bild, während sie dem fetten Anwalt aufmerksam lauschten, offenbar in dem Glauben, dies sei das einzige Mal, daß sie diesen Mann brauchten, den sie sonst nur mit Verachtung betrachtet hätten oder durch

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