Die Wahrheit

etwas aufgefallen wäre, vielleicht, weil es sich um die eines Anwalts handelte und zahlreiche Kanzleien auf der Liste standen. Doch der Name Sam Rider hätte sowieso keine Bedeutung für den Detective gehabt, selbst wenn die Nummer seine Aufmerksamkeit erregt hätte. Chandler legte die Aufstellung auf den Schreibtisch und dachte darüber nach, ob er Fiske und Sara Evans vorladen und zwingen sollte, ihm zu verraten, was hier eigentlich gespielt wurde. Dann aber wandte sein Instinkt, der in dreißig Berufsjahren immer ausgeprägter geworden war, sich dagegen. Hauptsächlich wegen eines Grundsatzes: Vertraue niemandem!
    »Nun kommen Sie schon, John«, bat Sara. Sie befanden sich in ihrem Büro, und der Arbeitstag neigte sich dem Ende zu.
    »Sara, ich kenne Richter Wilkinson nicht einmal.«
    »Aber wollen Sie denn nicht verstehen? Falls tatsächlich jemand vom Gericht in die Sache verwickelt ist, wäre es die ideale Gelegenheit, etwas herauszufinden. Praktisch alle Angehörigen des Gerichts werden dort sein.«
    Fiske wollte erneut protestieren, hielt dann aber inne. Er rieb sich das Kinn. »Wann müßten wir dort sein?«
    »Um halb acht. Übrigens ... haben Sie schon etwas von Ihrem Freund beim JAG gehört?«
    »Ja. Es gibt sogar zwei entsprechende Akten. Einmal Harms’ Personalakte, die nicht nur alle Einträge über seine Dienstzeit enthält, sondern auch Bewertungen, persönliche Informationen, den Anwerbungsvertrag, Soldbescheinigungen und seine Krankengeschichte. Die zweite Akte enthält alles über seinen Prozeß vor dem Kriegsgericht und befindet sich in Fort Jackson. Die Unterlagen seines Anwalts werden in der JAG-Zweigstelle aufbewahrt, die seine Verteidigung organisiert hat. Das heißt, falls sie die Unterlagen nicht schon längst vernichtet haben. Jansen überprüft es. Er schickt uns, was er auftreiben kann.«
    Als Sara ihre Sachen zusammenpackte und zur Tür ging, blieb Fiske sitzen. »Was können Sie mir über Richterin Knight sagen? Über ihre Vergangenheit und so weiter?«
    »Wieso?«
    »Nun ja, wir gehen auf ihre Party. Richterin Knight ist eine wichtige Person an diesem Gericht, und ihr Mann ist ebenfalls sehr prominent. Damit kommen die Knights für unsere Ermittlungen in Frage, meinen Sie nicht auch?«
    »Sie wissen über Jordan Knights Vergangenheit wahrscheinlich mehr als ich. Er stammt doch aus Ihrer Heimatstadt.«
    Fiske zuckte die Achseln. »Stimmt. Jordan Knight ist in Richmond eine große Nummer. War es zumindest, bis er in die Politik ging. Er hat eine Menge Geld verdient.«
    »Und sich eine Menge Feinde gemacht?«
    »Nein, ich glaube nicht. Er hat Virginia viel zurückgegeben. Außerdem ist er ein zurückhaltender, netter Kerl.«
    »Dann paßt er aber gar nicht zu Elizabeth Knight.«
    »Ich kann mir vorstellen, daß sie auf dem Weg nach oben ein paar Leute zur Seite geschubst hat.«
    »Nicht nur ein paar. Aber in ihrem Beruf bleibt einem gar nichts anderes übrig. Eine knallharte Anklägerin der Bundesstaatsanwaltschaft, die zu einer noch härteren Richterin wurde. Alle haben gewußt, daß man sie für einen Sitz am Obersten Gerichtshof aufbauen wollte. Sie ist bei den meisten großen
    Fällen das Zünglein an der Waage, und das treibt Ramsey in den Wahnsinn. Wahrscheinlich behandelt er sie deshalb auch so ... na ja, rücksichtsvoll. Die meiste Zeit faßt er sie mit Glacehandschuhen an, aber dann und wann kann er der Versuchung nicht widerstehen, ihr einen Stich zu versetzen.«
    Fiske dachte an das Streitgespräch der beiden Richter während der Konferenz. Das war es also.
    »Wie gut kennen Sie die anderen Richter? Offenbar gut genug, daß Sie ihnen keinen Mord zutrauen.«
    »Wie bei jeder anderen großen Organisation kennt man die meisten nur flüchtig.«
    »Was ist mit Ramseys Vergangenheit?«
    »Er ist der Oberste Richter des Obersten Gerichts dieses Staates, und Sie kennen ihn nicht?«
    »Tun Sie mir den Gefallen.«
    »Er war beigeordneter Richter und ist dann vor zehn Jahren ins höchste Amt aufgestiegen.«
    »Irgend etwas Ungewöhnliches in seiner Vergangenheit?«
    »Er war beim Militär. Armee oder Marineinfanterie, glaube ich.« Sie bemerkte Fiskes Blick. »Denken Sie nicht mal im Traum daran, John. Ramsey läuft nicht in der Gegend herum und bringt Leute um. Abgesehen davon weiß ich nur, was in seiner offiziellen Biographie steht.«
    Fiske schaute verwirrt drein. »Ich hätte gedacht, die Assessoren wissen alles über die anderen Richter. Sie sprechen doch bestimmt untereinander