Die Wahrheit
über sie?«
»Die Assessoren der einzelnen Richter bleiben bis zu einem gewissen Grad gern unter sich, obwohl jeden Donnerstagnachmittag eine Happy Hour stattfindet, bei der alle zusammenkommen. Und hin und wieder laden die Assessoren eines Richters einen anderen zum Mittagessen ein - sozusagen, damit man sich besser kennenlernt. Ansonsten haben die neun Kammern nicht viel miteinander zu tun.« Sie hielt inne. »Abgesehen natürlich von dem berühmten Meinungsnetzwerk der Assessoren.«
»Mike hat so etwas in der Art erwähnt, als er hier anfing.«
Sara lächelte. »Das kann ich mir vorstellen. Die Assessoren sind die Sprachrohre ihrer Richter. Wir lassen die ganze Zeit Versuchsballons aufsteigen, um etwas über die Auffassung eines anderen Richters herauszubekommen. Zum Beispiel hat Michael mich immer gefragt, was nötig sei, damit Richterin Knight bei einer Mehrheitsentscheidung wie Murphy abstimmt.«
»Aber warum muß Murphy um andere Stimmen buhlen, wenn er bei Mehrheitsentscheidungen schon die Begründungen verfaßt?«
»Sie tappen wirklich im dunkeln, was unsere Arbeitsweise hier betrifft, was?«
»Ich bin ein schlichter Anwalt vom Lande.«
»Na schön, Sie schlichter Anwalt vom Lande. Würde ich zehn Dollar für jede Abstimmung kriegen, bei der keine Mehrheit zustande kommt, wäre ich eine reiche Frau. Die Kunst besteht darin, eine Begründung zu verfassen, die einem fünf Stimmen einbringt. Aber die andere Seite sitzt natürlich nicht untätig herum. Manchmal stehen mehrere Entscheidungen an, deren Ausgang noch fraglich ist. Der Gebrauch abweichender Meinungen - sogar nur die Androhung - ist eine hohe Kunst.«
Fiske blickte Sara neugierig an. »Ich dachte, die Abweichler stünden auf der Verliererseite? Was für ein Druckmittel haben sie dann?«
»Sagen wir mal, einem Richter gefällt nicht, wie eine Mehrheitsentscheidung sich entwickelt. Also bringt er entweder einen bissigen, herabsetzenden Entwurf seiner abweichenden Meinung in Umlauf, der das ganze Gericht schlecht aussehen läßt oder sogar die mehrheitliche Meinung unterhöhlt, falls der Entwurf veröffentlicht wird. Aber noch besser - und einfacher ist es, wenn der Richter lediglich durchsickern läßt, daß er beabsichtigt, solch einen Kommentar zu verfassen, wenn der Tonfall der Mehrheitsentscheidung nicht zurückgefahren wird. Das machen hier alle. Ramsey, Elizabeth Knight, Murphy. Sie kämpfen mit Zähnen und Klauen.«
Fiske schüttelte den Kopf. »Wie bei einem langen politischen Wahlkampf. Ständig auf der Jagd nach Stimmen. Die juristische Version der typischen politischen Schachereien. Gib mir dies und das, und du bekommst meine Stimme.«
»Aber man muß wissen, wann man es darauf ankommen lassen kann und wann nicht. Angenommen, einem oder mehreren Richtern hat es nicht gepaßt, wie vor fünf Jahren ein bestimmter Fall entschieden wurde. Das Gericht stößt aber nicht mir nichts, dir nichts seine eigenen Präzedenzfälle um. Also muß man strategisch denken. Diese Richter könnten heute einen Fall benutzen, um den Grundstein dafür zu legen, in ein paar Jahren das Präjudiz umzustoßen, das ihnen nicht gepaßt hat. Das gilt auch schon für die Auswahl der Fälle. Die Richter halten stets Ausschau nach genau dem richtigen Fall, den sie als Vehikel benutzen können, um einen Präzedenzfall zu verändern, der ihnen nicht paßt. Es ist wie eine Partie Schach.«
»Hoffen wir, daß bei all diesen Spielchen eins nicht verloren geht.«
»Und was?«
»Die Gerechtigkeit. Vielleicht will Rufus Harms nur Gerechtigkeit. Und hat deshalb seinen Antrag eingereicht. Glauben Sie, daß er hier Gerechtigkeit bekommt?«
Sara schaute zu Boden. »Ich weiß es nicht. Tatsache ist, die individuellen Parteien, die mit Fällen auf dieser Ebene zu tun haben, sind eigentlich gar nicht so wichtig. Das Präjudiz, das durch ihren Fall geschaffen wird ... darauf kommt es an. Es hängt davon ab, was es verlangt. Welche Auswirkungen es auf andere Fälle haben wird.«
»Das ist echt beschissen.« Fiske schüttelte den Kopf und bedachte Sara mit einem durchdringenden Blick. »Ein verdammt interessanter Ort, dieser Oberste Gerichtshof.«
»Dann kommen Sie also mit zu der Party?«
»Die möchte ich mir um nichts auf der Welt entgehen lassen.«
KAPITEL 40
Josh Harms ging davon aus, daß die Polizei nun auch die Nebenstraßen kontrollierte, und war deshalb auf die ungewöhnliche Taktik verfallen, auf der Interstate zu fahren. Doch es dämmerte bereits, und bei
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