Die Waldschmerzklinik 2
den Geschäften vorbei. Die Stimmung ist friedlich, die Sonne schickt sich gerade an unterzugehen und zahlreiche Paare spazieren umher, so wie wir. Ich drücke Waines Finger und er erwidert die Geste. Kann so eine einfache Zuneigungsbezeugung glücklich machen? Mich schon, mein Herz ist ganz leicht und die Hoffnung treibt Blüten.
„Da oben wohne ich“, sagt Waine, als wir vor einem Altbau stehenbleiben.
Ein schönes Haus mit Stuckfassade und einem leuchtend weißen Anstrich. Ich gucke an der Front hoch und versuche mir die Wohnung vorzustellen, in der ein Mann wie er sein Leben verbringt.
„Willst du mit hochkommen?“ Waine schaut mich an und lächelt dabei. Nicht lüstern, sondern irgendwie sehnsüchtig. Ich nicke und er lässt mich in das Treppenhaus, wo eine schmale Stiege in den ersten Stock führt.
Der Flur ist riesig und erinnert mich an die Hamburger Altbauten in Eppendorf, die ähnlich großzügig geschnitten sind. Die Räume haben hohe Decken, ich zähle vier Zimmer, dazu noch zwei Bäder und eine große Küche.
„Ist das nicht etwas groß für dich allein?“ Ich stehe im Wohnzimmer und schaue mich um.
„Ja. Ich wollte die Wohnung trotzdem und vielleicht – bleibe ich ja nicht immer allein.“
„Aha“, murmele ich und trete ans Fenster.
Der Ausblick ist atemberaubend. Die letzten Sonnenstrahlen spiegeln sich im ruhigen Wasser des Hafenbeckens und tauchen alles in ein goldenes Licht.
„Wunderschön, nicht wahr?“, wispert Waine, der neben mich getreten ist.
„Oh ja.“ Ich sehe jetzt ihn an und meine damit sein Gesicht, das sanft erleuchtet wird.
Die blonden Haare glänzen hell und sein scharf geschnittenes Profil ist wahnsinnig anziehend. Vor allem seine Lippen, über die er gerade mit der Zungenspitze fährt, bevor er sich mir zuwendet. Unsere Blicke treffen sich und scheinen ineinander zu versinken. Ich beuge mich vor, vorsichtig, um ihm eine Chance zu geben, auszuweichen. Waine bleibt stehen und sein Mund öffnet sich leicht, als würde er meinen Kuss erwarten.
Es ist ein sanftes Dahinschmelzen, Ertasten und Kennenlernen. Ich fahre immer wieder mit meinen Lippen über seine, bis er aufstöhnend näher kommt und einen Arm um meine Taille schlingt. Unser Kuss wird tiefer und sehnsüchtiger. Ich umfasse Waines Nacken und halte ihn, während ich ihn ausführlich erkunde. Mein Schwanz wird immer härter, meine Kontrolle immer wackliger, so dass ich mich von ihm lösen und Abstand zwischen uns bringen muss.
„Ich gehe besser“, ächze ich, mühsam um meine Beherrschung kämpfend.
„Warum? Gefalle ich dir nicht?“
„Doch, aber darum geht es doch nicht.“
„Willst du mich nicht endlich ficken?“
„Mein Gott, Waine. Mach es mir doch nicht so schwer.“
„Okay, ich halte dich nicht auf“, sagt Waine und seine Miene verschließt sich. „Warum noch gleich bist du überhaupt heute in Husum?“
Seine Stimme ist so kalt, dass meine Erregung verpufft.
„Ich brauchte eine Luftveränderung.“
„Ich bringe dich zur Tür.“ Waine dreht sich um und geht voraus, öffnet die Wohnungstür und ich schlüpfe an ihm vorbei.
„Gute Nacht“, ruft er mir hinterher.
Ich sage nichts, ich könnte es gar nicht. Mein Herz rammt gegen meinen Brustkorb und die Enttäuschung schnürt mir die Kehle zu. Kein Wort von Zuneigung oder Liebe, nur ficken. Warum hab ich es nicht einfach getan? Ich laufe blindlings durch die Straßen, bis ich merke, dass ich vor meinem Hotel stehe. Zum Glück ist es so klein, dass es keinen Nachtportier gibt. Wie ein geprügelter Hund schleiche ich mich auf mein Zimmer und werfe mich dort aufs Bett. Was habe ich bloß schon wieder falsch gemacht?
***
Ich verstehe die Welt nicht mehr. Eben noch war Miro so heiß, dass ich mich fast an ihm verbrannt habe, jetzt haut er ab. Das Ganze gleicht inzwischen einer miesen Komödie und ich bleibe dabei auf der Strecke. Ich will ihn endlich in meinen Armen halten und – vielleicht sollte ich ihm sagen, was ich für ihn fühle. Auf die Idee bin ich, ehrlich gesagt, noch nicht gekommen. Warum? Keine Ahnung. Der oberflächliche Waine, der sich seit neunundzwanzig Jahren erfolgreich um Liebeskummer gedrückt hat, rasselt nun voll rein.
Verärgert laufe ich durch meine Wohnung und suche nach den Alkoholvorräten. Ein Rest Weinbrand fällt mir in die Finger, danach eine halbe Flasche Korn. Ich bin nicht wählerisch und kippe das Zeug in mich rein. Danach umfängt mich die selige Umarmung des komatösen
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