Die Wall Street ist auch nur eine Straße
anderer diese Geschichte erzählen. Aber unser Timing war katastrophal. Am Montag, dem 10. Oktober, kollabierte Refco wegen der Nachricht, dass Bennett sich massiver Betrügereien schuldig gemacht hatte. Fünf Tage später wurde er verhaftet, es handelte sich Berichten zufolge um den viertgrößten Bankrott der amerikanischen Geschichte (später wurde ein überarbeitetes Schriftstück dazu veröffentlicht). Unsere nun ungeschützten 362 Millionen Dollar wurden als ein Teil von Refcos Vermögenswerten eingefroren.
Anwälte rieben sich die Hände, es gab eine Klage nach der anderen. Sie verklagten jeden, der in Sichtweite kam, auch Beeland Management und mich persönlich. Ich wurde an mehreren Gerichten verklagt, obwohl der Prospekt unserer Firma klarstellte, dass ich mit deren Management nichts zu tun hatte. Niemand von uns konnte sich die Gründe der Klagen erklären, denn wir waren ja selbst Opfer der Refco-Betrügereien. Diese Leute wollten uns einfach schröpfen. Mehrmals wurde uns ein Vergleich angeboten. Wir lehnten ab, weil wir wussten, dass wir im Recht waren. Zum Glück teilten die verschiedenen Gerichte und Richter unsere Meinung, sodass es nie zu einem Prozess kam. Alle Klagen verliefen letztlich im Sande, ein Kläger nach dem anderen warf das Handtuch – bis auf einen einzigen Mann, der in einen der Fonds investiert hatte, Clancy Ridley, der ebenso wie sein Anwalt Steve Clay mein Kommilitone in Yale gewesen war. Sie hielten bis zum bitteren Ende durch, als der Richter jeden ihrer Ansprüche zurückwies.
Beeland kam sauber aus der Sache heraus, auch ich kam sauber heraus, die Anteilseigner erhielten verdientermaßen ihr Geld zurück – und sogar noch ein wenig mehr. (Bei Insolvenzen bekommt man in der Regel nur einen kleinen Teil seines Geldes wieder zurück.) Aber das alles nahm mich persönlich sehr mit, jahrelang beschäftigte mich diese Sache. Ich lernte, dass ich sogar als unschuldiger Unbeteiligter auf ewig vor die Gerichte gezerrt werden konnte; und die Anwälte erweckten den Eindruck, als hätte ich mit einem Gewehr in der Hand das Geld geraubt. Das ging so weiter, bis sie irgendwann ihre Anstrengungen aufgaben. Meiner Meinung nach setzte sich das nicht darum so lange fort, weil sie die juristische Auseinandersetzung gewinnen wollten – dafür bestand zu keinem Zeitpunkt eine Chance –, sondern um den Kampf für mich so entmutigend und kostspielig zu machen, dass ich schließlich dafür zahlen würde, dass sie damit aufhörten. Das war eine verheerende Erfahrung. Am Anfang war es besonders demoralisierend. Und am Ende war ich völlig erschöpft. Wenn ich mir Fotos aus diesen Jahren anschaue, kann ich mir beim Altern zusehen. Ich hatte immer wieder gehört, dass man durch eine bestimmte Erfahrung »altern« kann, aber ich hielt das immer für eine bloße Redewendung. Heute weiß ich es besser.
Die Zeit und Energie, die ich in diesen Kampf stecken musste, machte den Gedanken an ein zweites Kind unvorstellbar. Ich war furchtbar niedergeschlagen. Da hatte ich diese wunderbare Sache gestartet: Ich hatte diesen Index konzipiert, mein Timing war völlig richtig – einer der Fonds wuchs rapide – und hatte gute Arbeit für die Investoren geleistet. Das war ein großer Erfolg, und dann stellten sich plötzlich alle diese Leute, die offensichtlich von jedem auf Herz und Nieren untersucht worden waren, als Schufte heraus, und sofort war klar, dass man mich verklagen würde.
Ich weiß nicht, ob Paige jemals gespürt hat, wie niedergeschlagen ich mich fühlte. Die Angst ließ mein Haar ergrauen. Die Angelegenheit zehrte mich völlig auf. Jeden Morgen schaltete ich den Computer ein und las schon wieder eine Nachricht von einem Rechtsanwalt. Oh mein Gott, schon wieder. Ich wusste: Was auch immer passieren würde, auch wenn wir gewannen, musste ich mich wieder durch einen Stapel Dokumente kämpfen und zumindest darauf antworten. Jeder juristische Sieg schmeckte weniger süß als der letzte. Kein einzelner Triumph bedeutete das Ende der Schlacht. Die Hetzjagd nahm kein Ende. Ich versuchte Paige nicht wissen zu lassen, wie deprimiert ich war. Ich schirmte sie so gut ab, wie ich konnte. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, als man über solche Dinge nicht viel sprach. Wir hatten ein zweijähriges Kind. Ich musste die Dinge zusammenhalten.
KLAGEN VOR GERICHT gehören zu den gesündesten Wachstumsbranchen in Amerika. In den USA gibt es mehr Anwälte als im gesamten Rest der Welt. Die Explosion der Klagen macht
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