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Die Wand der Zeit

Die Wand der Zeit

Titel: Die Wand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Bruce
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Verständnis finden, wenn er sich nicht erklären kann. Dass ich ihn wie ein Tier behandle, ist mir bewusst. Solange ernicht mit mir kommuniziert, muss ich so mit ihm umgehen, denn er hat es nicht besser verdient.
    Ich möchte, dass er mit mir spricht, bevor ich zugebe, dass ich weiß, wer er ist. Etwas bis zuletzt geheim zu halten ist eine gute Taktik. Natürlich habe ich schon durchblicken lassen, dass ich ihn kenne. Ich frage mich, ob er gerade deshalb schweigt. Würde er reden, wenn er allein hier wäre? Mit den Pflanzen, den Vögeln, den Steinen sprechen – mit allem? Ich bin es, der ihm den Mund verschließt, ihn die Worte herunterschlucken lässt. Vielleicht spielt er ja mit mir. Er weiß, wer ich bin, lauert auf eine Schwäche und sammelt seine Kräfte für den Angriff, den Versuch, die Insel an sich zu reißen.
    Ich weiß, dass das unwahrscheinlich ist. Er scheint über sich, über mich völlig im Unklaren zu sein. Wieder frage ich mich, wie es dazu gekommen ist. Verjagt von einem Volk, das sich gegen ihn gewendet hat, kann er sich nicht mehr artikulieren, ist er kein Mensch mehr.
    Ich werde ihm reinen Wein einschenken, bevor wir losfahren. Dem Spiel ein Ende machen.
    Ich bin steif von der Arbeit gestern. Das spüre ich in den sieben Stunden, die ich am Meer sitze. Selten beißt etwas an. Ich ziehe die Jacke um mich. Mein Kopf kippt nach vorn. Mir ist warm. Ich höre nichts als das Meer, das Rauschen der Wellen. Ein- oder zweimal stehe ich auf und sehe nach, ob am Kliff hinter mir etwas ist, sonst rühre ich mich kaum.
    Ich lasse den Kopf nach vorn kippen, bis mein Kinn auf der Brust liegt. Die Augen fallen mir zu. Dann schrecke ich plötzlich auf und schnappe nach Luft. Mir ist, als hätte ich aufgehört zu atmen. Eine kurze Panik. Die Angelschnur liegt still in dem öligen Wasser, als hätte sie sich nicht bewegt. Passieren darf mir hier nichts. Ein Herzanfall, ein Hirnschlag, und ich bin alleinund verlassen. Vielleicht bewegungsunfähig, und dann kann ich nur warten, bis die Flut kommt und meinen Körper davonträgt. Andalus wäre keine Hilfe.
    In der Stille des Spätnachmittags kehre ich zur Höhle zurück. Andalus steht mit dem Rücken zu mir mitten in der Höhle. Anscheinend hat er mich nicht kommen gehört. Er wankt ein wenig. Ich weiß nicht, ob er tanzt oder einfach wacklig auf den Beinen ist. Als er sich umdrehen will, stolpert er. Kein Tanz also. Er starrt mich an. Ich sehe weg. »Fisch«, sage ich und halte meinen Fang hoch. Bin ich so tief gesunken? Da steht ein Mann, mit dem ich einst die Zukunft unserer beiden Länder, die Zukunft der uns bekannten Welt erörtert habe. Von Gesprächen über Menschenrechte, das Recht auf eine sichere Zukunft, das Recht zu leben, die Pflicht, andere leben zu lassen – von da zu einem hingerotzten Einsilbenwort in einer Höhle, auf einer Insel, die die Welt vergessen hat.
    Andalus wendet sich ab und legt sich wieder hin. Ich gebe ihm kein Abendessen. Er liegt auf dem Rücken, und ich beobachte ihn im Halbdunkel. Er schnarcht leise.
    Einen Baumstamm in Planken zu schneiden ist mühsam und erfordert eine Fertigkeit, in der ich nicht geübt bin. Bis zum Abend habe ich dann irgendwie doch zwei Stämme in brauchbare Planken gespalten und einen dritten Baum gefällt. Mit meiner ersten Schätzung, wie viel Holz für das Floß nötig wäre, lag ich falsch. Ich brauche noch zwei Bäume. Das Floß soll besser werden als das, mit dem ich hergekommen bin. Damals hatte ich Glück. Bei stürmischem Wetter hätte es leicht kentern können. Es gibt zwar nicht mehr so oft Stürme, aber manchmal eben doch. Darauf hatte die Siedlung gesetzt. Zu feige und unentschlossen, mich zum Tod zu verurteilen, hofften sie, dieNatur würde ihnen die Arbeit abnehmen. Sie hätten bedenken sollen, dass die Natur uns selten zu Willen ist. Das Verbrechen, für das man mich in die Verbannung geschickt hat, wurde aus der Notwendigkeit eines Eingriffs in die Natur geboren, einer Beschleunigung ihrer Vorgänge, um einer Überlastung vorzubeugen. So jedenfalls hieß es im Großen Plan, und darauf stellte ich meine Verteidigung ab. Die Natur kann Leben nur in einem bestimmten Maß erhalten.
    Doch ich tue meinem Volk unrecht. Die Menschen sind trotz allem, was sie durchgemacht haben, weder gewalttätig noch rachsüchtig. Pragmatisch ist das Wort, das auf sie passt – kultiviert und pragmatisch.
    Es war ein ungewöhnlicher Prozess. Nicht unbedingt fair. Ich bekam zwar eine Verteidigung, war aber schon

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