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Die Wand der Zeit

Die Wand der Zeit

Titel: Die Wand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Bruce
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meisten ihrer Äste entfernt. Wenn die trocken sind, gibt es ein großes Feuer im Freien. Oder ich kann die Höhle einmal richtig damit durchheizen und ein paar Abende im Warmen sitzen. Aber wenn ich mich nicht verschätzt habe, werden sie vor meiner Abreise wohl kaum hinreichend trocknen. Es gäbe zu viel Rauch. Die Stämme lasse ich an Ort und Stelle liegen. Das Schneiden der Planken hat Zeit bis übermorgen.
    In der Höhle werfe ich ein paar Knollen ins Feuer. Ich bin erschöpft und gehe an diesem Tag nicht noch mal raus. Mir wird klar, dass ich vielleicht noch ein wenig brauche, um mich an den neuen, anstrengenderen Trott zu gewöhnen. Die letzte Stunde Tageslicht nutze ich für meine Aufzeichnungen. Ich notiere, wie viele Bäume ich gefällt habe, wie viele noch bleiben, wie alt die gefällten waren. Alle Bäume, die ich bisher geschlagen habe, waren ungefähr gleich alt. Soweit ich es beurteilenkann, sind sie alle um die fünfzig Jahre, plus minus zehn. Dafür habe ich drei Theorien. Die Insel hat ein paar wärmere Jahre erlebt, in denen die Schösslinge Wurzeln geschlagen haben, und jetzt lässt der fehlende Sonnenschein sie verkümmern. Es handelt sich um eine Art, die erst im hohen Alter geschlechtsreif wird, deshalb gibt es keine jungen Bäume. Sie wurden von einem früher hier Gestrandeten gepflanzt, einem Menschen, der nur Samen aus einem verlassenen Teil der Welt bei sich hatte, Samen, aus denen unfruchtbare Nachkommen entstanden sind.
    Ich habe nicht groß darüber nachgedacht, ob die Insel schon früher bewohnt war. Aber was spricht dagegen? Auch wenn es ständig regnet, kommt doch so viel Licht durch, dass Pflanzen gedeihen können. Es gibt Torf. Ringsum ist das Meer, das früher einmal mehr hergegeben haben wird als heute. Alles in allem ist es kein schlechter Ort zum Leben. Als Ausgestoßener hätte ich es schlechter treffen können. Ja, vielleicht waren schon vor mir Menschen hier. Die gleichaltrigen Bäume könnten darauf hindeuten. Womöglich bin ich von Spuren früherer menschlicher Bewohner umgeben, Anzeichen, die da sind, die ich aber nicht erkenne. Es könnte sein, dass ich mitten in einer von Geistergeflüster erfüllten Ruinenstadt lebe. Wir sehen schließlich nur, was wir sehen wollen. Aber überzeugt bin ich davon nicht. Meinem Gefühl nach bin ich der Erste hier, der erste Mensch, der diesem nassen Gefängnis seinen Stempel aufdrückt.
    Allerdings habe ich das Gefühl, nicht alleine zu sein. Die Gestalten hinter den Bäumen, Köpfe, die über Kliffkanten spähen, Leiber, die mit den schwarzen Kliffwänden verschmelzen. Eine Folge des Alleinseins, sage ich mir. Und des Lebens, das ich geführt habe. Je länger ich nicht unter Menschen war, desto mehrneige ich dazu, sie mir vorzustellen, mich beobachtet zu fühlen. Natürlich bin ich jetzt nicht allein. Andalus oder der Schatten von Andalus ist bei mir. Es wäre möglich, dass er mich verfolgt, ohne dass ich ihn sehe, aber das bezweifle ich. Er könnte sich nicht vor mir verstecken, vor einem Mann, der seit einem Jahrzehnt auf dieser kleinen Insel lebt. Er ist zu groß und zu dick, um mir heimlich nachzuschleichen, und selbst wenn er das nicht wäre – die Insel ist überwiegend flach, mit wenig hohem Bewuchs. Er müsste schon auf dem Bauch durch den Schlamm kriechen, sonst würde ich ihn ohne Weiteres sehen.
    Am Morgen gebe ich ihm wieder nichts zu essen. Er schweigt noch immer. Ich kann den Mann nicht guten Gewissens verhungern lassen. Außerdem könnte ich ohne ihn gar nicht zurück. Ich habe jetzt vor, ihm einmal täglich zu unregelmäßigen Zeiten etwas zu essen zu geben. Meine Überlegung dabei ist, dass er vielleicht anfängt, sich Gedanken über mein Verhalten zu machen, wenn er nicht weiß, ob und wann er wieder etwas zu essen bekommt. Im größeren Rahmen war das auch der Grund für den Krieg. Dass wir nicht wussten, ob genug Ressourcen für alle da waren, brachte uns dazu, um unseren Anteil zu kämpfen. Es führte dazu, dass wir gegen Andalus’ Volk kämpften, und es führte zu unserem Großen Plan, der letztlich dafür sorgen sollte, dass es nie wieder Krieg wegen Lebensmitteln, Land und Wasser gab; er sollte uns die Angst vor der Zukunft nehmen. Der Große Plan wurde in Kraft gesetzt, um solche Pläne ein für alle Mal überflüssig zu machen, ein Widerspruch, mit dem mein Volk viele Jahre lang lebte.
    Ich werde ihn nicht töten, aber ich werde ihn provozieren. Das ist nur zu seinem Besten, denn er wird in der Siedlung kaum

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