Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
Vom Netzwerk:
vorübergehenden Zustand oder bemühte mich wenigstens, so zu tun.
    Ich hatte wenig Ahnung von der Rinderzucht. Einmal war ich bei der Geburt eines Kalbes dabeigewesen, aber ich wußte nicht einmal, wie lange eine Kuh trächtig geht. Das habe ich inzwischen aus einem Bauernkalender erfahren, aber viel mehr weiß ich bis heute nicht, und ich wüßte nicht, auf welche Weise ich dazulernen könnte.
    Ich wollte den kleinen Herd im Stall einmal abtragen, später fand ich ihn aber ganz praktisch. Wenn es notwendig wurde, konnte ich im Stall Wasser wärmen. Den Tisch und einen Sessel trug ich in die Garage, wo schon eine Menge Werkzeug lag. Hugo hatte immer auf gutes Werkzeug geachtet, und der Jäger, ein ehrlicher, ordentlicher Mann, hatte dafür gesorgt, daß es immer einsatzbereit war. Ich weiß nicht, warum Hugo soviel Wert auf Werkzeug legte. Er selbst rührte es niemals an, betrachtete es aber bei jedem Besuch mit großer Genugtuung. Wenn es eine Marotte war, so war es eine für mich segensreiche Marotte. Daß ich überhaupt noch am Leben bin, verdanke ich nur Hugos leichten Absonderlichkeiten. Der gute Hugo, Gott segne ihn, sicherlich sitzt er noch immer am Wirtshaustisch vor einem Glas Limonade, endlich ohne Furcht vor Krankheit und Tod. Und es gibt keinen mehr, der ihn von Konferenz zu Konferenz jagen könnte.
    Während ich mich mit dem Stall beschäftigte, stand die Kuh auf der Waldwiese und graste. Sie war ein hübsches Tier, zartknochig, rundlich und von graubrauner Farbe. Irgendwie machte sie einen fröhlichen jungen Eindruck. Die Art, wie sie den Kopf nach allen Seiten drehte, wenn sie Blätter von den Büschen zupfte, erinnerte mich an eine graziöse, kokette junge Frau, die aus feuchten braunen Augen über die Schulter blickt. Ich schloß die Kuh sofort ins Herz, ihr Anblick war zu erfreulich.
    Luchs trieb sich in meiner Nähe umher, sah der Kuh zu, trank aus dem Brunnentrog und stöberte ein wenig im Gebüsch. Er war wieder ganz der alte fröhliche Hund und schien die Schrecken der letzten Tage vergessen zu haben. Er schien sich daran gewöhnt zu haben, daß, zumindest vorläufig, ich sein Herr war.
    Mittags kochte ich Suppe aus Erbswurst und öffnete eine Dose Corned beef. Nach dem Essen überfiel mich die Müdigkeit mit Gewalt. Ich befahl Luchs, ein wenig auf die Kuh zu achten, und legte mich wie betäubt in den Kleidern aufs Bett. Nach allem, was geschehen war, hätte ich gar nicht schlafen dürfen; ich muß aber sagen, daß ich in den ersten Wochen im Jagdhaus besonders gut schlief, bis mein Körper sich an die schwere Arbeit gewöhnt hatte. Die Schlaflosigkeit fing erst viel später an, mich zu quälen.
    Gegen vier Uhr erwachte ich. Die Kuh hatte sich wiederkäuend hingelegt. Luchs saß auf der Hausbank und beobachtete sie schläfrig. Ich erlöste ihn von der Wache, und er nahm seine Erkundungsgänge wieder auf. Damals wurde ich immer gleich unruhig, wenn ich ihn nicht sehen konnte. Später, als ich wußte, wie sehr ich mich auf ihn verlassen konnte, verlor ich diese Angst völlig.
    Als es kühl wurde, stellte ich Wasser auf den Herd und heizte ein. Ich hatte ein Bad dringend nötig.
    Gegen Abend brachte ich die Kuh in den Stall, molk sie, stellte ihr frisches Wasser in die Bettstatt und ließ sie dann allein für die Nacht. Nach dem Bad hüllte ich mich in den Schlafrock, trank warme Milch und setzte mich dann an den Tisch, um nachzudenken. Ich wunderte mich darüber, daß ich nicht traurig und verzweifelt war. Ich wurde so schläfrig, daß ich den Kopf in die Hände stützen mußte und fast im Sitzen eingeschlafen wäre. Da ich doch nicht denken konnte, versuchte ich zu lesen, einen von Hugos Kriminalromanen. Es schien aber nicht das Richtige zu sein; mein Interesse für Mädchenhandel war im Augenblick sehr gering. Übrigens war auch Hugo regelmäßig auf der dritten oder vierten Seite seiner harten Krimis eingenickt. Vielleicht hatte er sie als Schlafmittel gebraucht.
    Auch ich hielt höchstens zehn Minuten durch, dann erhob ich mich entschlossen, drehte die Lampe zurück, versperrte die Tür und ging zu Bett.
    Am nächsten Morgen war das Wetter kühl und unfreundlich und brachte mir zu Bewußtsein, daß ich mich um Heu für meine Kuh kümmern mußte.
    Ich erinnerte mich, auf der Wiese neben dem Bach einen Stadel gesehen zu haben, es war möglich, daß er noch ein wenig Heu enthielt. Hugos Wagen war für mich unbrauchbar. Er hatte den Schlüssel beim Weggehen mit sich getragen. Aber der Schlüssel

Weitere Kostenlose Bücher