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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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daran zu glauben.
    Ich erinnere mich nicht mehr, was ich an jenem Vormittag tat. Ich weiß nur noch, daß ich eine Weile regungslos neben dem Wagen stand, bis die Nässe, die durch die leichten Hausschuhe drang, mich aufschreckte.
    Vielleicht waren die folgenden Stunden so arg, daß ich sie vergessen mußte; vielleicht verbrachte ich sie auch nur in einer Art Betäubung. Ich erinnere mich nicht. Ich tauchte erst wieder gegen zwei Uhr nachmittags auf, als ich mit Luchs durch die Schlucht ging.
    Zum erstenmal fand ich die Schlucht nicht reizvoll romantisch, sondern nur feucht und düster. Sogar im Hochsommer bleibt sie so, das Sonnenlicht fällt nie bis auf ihren Grund. Nach Gewitterregen kriechen dort die Feuersalamander aus ihren Steinverstecken. Später, im Sommer, konnte ich sie manchmal beobachten. Es gab eine Menge von ihnen. Oft sah ich zehn oder fünfzehnan einem Nachmittag; prächtig, schwarz-rot gefleckte Geschöpfe, die mich eigentlich immer mehr an gewisse Blumen, Tigerlilien und Türkenbund, erinnerten als an ihre schlichten graugrünen Eidechsen verwandten. Ich habe nie einen Salamander berührt, während ich Eidechsen gern anfasse.
    Damals, am 2. Mai, sah ich sie nicht. Es hatte ja auch nicht geregnet, und ich wußte überhaupt noch nicht, daß es sie gab. Ich schritt schnell aus, um aus der feuchten grünen Dämmerung zu entkommen. Diesmal war ich besser ausgerüstet, mit Bergschuhen, Kniehosen und einer warmen Joppe. Der Mantel war mir am Vortag ein Hindernis gewesen, beim Grenzabstecken hatten seine Enden auf der Wiese dahingeschleift. Auch Hugos Fernglas hatte ich mitgenommen und im Rucksack eine Thermosflasche mit Kakao und Butterbrote.
    Außerdem trug ich, neben meinem kleinen Taschenmesserchen (zum Bleistiftspitzen), noch Hugos scharfes Knickmesser mit mir. Ich konnte es gar nicht verwenden, denn zum Ästeabschneiden war es viel zu gefährlich, man hätte sich dabei nur die Hand verletzt. Obgleich ich es mir nicht eingestehen mochte, trug ich das Messer zu meinem Schutz mit. Es war ein Ding, das mir-eine trügerische Sicherheit verlieh. Später ließ ich es häufig zu Hause. Seit Luchs tot ist, trage ich es wieder auf allen Wegen bei mir. Allerdings weiß ich jetzt sehr genau wozu und rede mir nicht mehr ein, daß ich es zum Schneiden von Haselzweigen brauche. Die Wand war natürlich noch immer am abgesteckten Platz und hatte sich nicht, wie mir am Abend durch den Kopf gegangen war, näher an das Jagdhaus geschoben. Sie war auch nicht zurückgewichen, aber das hatte ich ohnedies nicht von ihr erwartet. Der Bach hatte seinen gewöhnlichen Spiegel erreicht, offenbar war es für ihn ein leichtes gewesen,sich durch das lockere Gestein zu graben. Ich konnte ihn, von Stein zu Stein springend, überqueren und folgte dann meiner Spielzeuggrenze bis zum Aussichtspunkt bei den Lärchen. Dort brach ich frische Zweige und fing an, die Wand weiter abzustecken.
    Es war eine mühevolle Beschäftigung, bald tat mir der Rücken weh vom vielen Bücken. Ich war aber wie besessen von der Vorstellung, daß ich diese Arbeit, soweit es mir möglich war, erledigen mußte. Sie beruhigte mich und brachte einen Hauch von Ordnung in die große, schreckliche Unordnung, die über mich hereingebrochen war. Etwas wie die Wand durfte es einfach nicht geben. Daß ich sie mit grünen Hölzern absteckte, war der erste Versuch, sie, da sie nun einmal da war, auf einen angemessenen Platz zu verweisen.
    Mein Weg führte über zwei Bergwiesen, durch eine junge Fichtenkultur und über einen verwachsenen Himbeerschlag. Die Sonne brannte, und meine Hände bluteten, aufgerissen von Dornen und Schiefern. Die kleinen Hölzer konnte ich natürlich nur auf der Wiese verwenden, im Unterholz brauchte ich richtige Stecken; stellenweise markierte ich auch mit dem Taschenmesser die Bäume in der Nähe der Wand. Das alles hielt mich sehr auf, und ich kam nur ganz langsam vorwärts.
    Auf der Höhe des Himbeerschlages sah ich fast das ganze Tal vor mir liegen. Durch das Fernglas konnte ich alles sehr klar und scharf sehen. Vor dem Häuschen des Wagnermeisters saß eine Frau regungslos in der Sonne. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, sie hielt den Kopf gesenkt und schien zu schlafen. Ich sah so lange hin, bis meine Augen tränten und das Bild in Formen und Farben zerrann. Quer über der Türschwelle lag ein Schäferhund, den Kopf auf die Pfoten gelegt, unbewegt.
    Wenn das der Tod war, so war er sehr rasch und sanftgekommen, auf eine fast liebevolle

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