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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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Weise. Vielleicht wäre es klüger gewesen, mit Hugo und Luise ins Dorf zu gehen.
    Endlich riß ich mich los von dem friedlichen Bild und steckte weiter meine Zweige. Die Wand senkte sich jetzt wieder in eine kleine Wiesenmulde, in der ein einschichtiges Gehöft lag; eigentlich nur ein sehr kleiner Hof, wie man ihn oft im Gebirge findet, nicht zu vergleichen mit den Vierkantern über Land.
    Die Wand teilte die kleine Wiese hinter dem Haus und hatte von einem Apfelbaum zwei Äste abgeschnitten. Sie sahen übrigens nicht wie abgeschnitten aus, eher wie geschmolzen, wenn man sich geschmolzenes Holz vorstellen könnte.
    Ich berührte sie nicht. Zwei Kühe lagen jenseits der Wand auf der Wiese. Ich sah sie lange an. Ihre Flanken hoben und senkten sich nicht. Auch sie wirkten eher schlafend als tot. Ihre rosigen Nüstern waren nicht länger feucht und glatt, sondern sahen aus wie hübsch bemalter feinkörniger Stein.
    Luchs wandte den Kopf und sah in den Wald hinein. Er brach nicht wieder in das entsetzliche Geheul aus, er sah einfach nicht hin, so als hätte er beschlossen, alles, was jenseits der Wand lag, nicht zur Kenntnis zu nehmen. Früher einmal hatten meine Eltern einen Hund, der sich auf ähnliche Weise von jedem Spiegel abwandte.
    Während ich noch die beiden toten Tiere betrachtete, hörte ich plötzlich hinter mir das Brüllen einer Kuh und Luchs' aufgeregtes Bellen. Es riß mich herum, und da teilte sich das Unterholz, und heraus schritt, gefolgt von dem aufgeregten Hund, eine brüllende und lebendige Kuh. Sie kam sofort auf mich zu und schrie mir ihren ganzen Jammer entgegen. Das arme Tier war zwei Tage nicht gemolken worden, seine Stimme klang schon ganzheiser und rauh. Ich versuchte sofort, ihr Erleichterung zu verschaffen. Als junges Mädchen hatte ich zum Spaß melken gelernt, aber das lag zwanzig Jahre zurück, und ich hatte jede Übung verloren.
    Die Kuh ließ sich alles geduldig gefallen, sie hatte begriffen, daß ich ihr helfen wollte. Die gelbe Milch spritzte auf die Erde, und Luchs machte sich daran, sie aufzulecken. Die Kuh gab sehr viel Milch, und mir taten die Hände weh von den ungewohnten Griffen. Die Kuh war plötzlich ganz zufrieden, neigte sich und näherte ihr großes Maul Luchs' brauner Nase. Die gegenseitige Begutachtung schien günstig ausgefallen zu sein, denn beide Tiere waren zufrieden und beruhigt.
    Da stand ich also auf einer wildfremden Wiese mitten im Wald und besaß plötzlich eine Kuh. Es war ganz klar, daß ich die Kuh nicht zurücklassen konnte. Ich bemerkte jetzt erst Blutspuren an ihrem Maul. Offenbar war sie immer wieder verzweifelt gegen die Wand gerannt, die sie daran hinderte, in den heimatlichen Stall und zu ihren Menschen heimzugehen.
    Von diesen Menschen war nichts zu sehen. Sie mußten sich zur Zeit der Katastrophe im Haus aufgehalten haben. Die zugezogenen Vorhänge vor den kleinen Fenstern bestärkten mich darin, daß sich dies alles am Abend ereignet hatte. Nicht zu spät, denn der alte Mann hatte sich gerade gewaschen und die alte Frau mit der Katze war noch auf der Hausbank gesessen. Am frühen Morgen, wenn es noch kühl ist, sitzt eine alte Frau mit ihrer Katze nicht auf der Hausbank. Außerdem, hätte das Unglück sich am Morgen abgespielt, so wären Hugo und Luise längst daheim gewesen. Ich überlegte das alles und sagte mir sogleich, daß derartige Überlegungen für mich völlig wertlos waren. So gab ich sie auf und suchte im Unterholz unter lockenden Rufen nach einer weiterenKuh, aber nichts regte sich. Hätte es noch irgendwo in der Nähe ein Rind gegeben, hätte es Luchs längst aufgestöbert.
    Es blieb mir nichts übrig, als die Kuh über Berg und Tal nach Hause zu treiben. Damit hatte meine Grenzabsteckung ein jähes Ende gefunden. Es war ohnedies spät geworden; gegen fünf Uhr nachmittags, und das Sonnenlicht fiel nur noch in schmalen Streifen auf die Lichtung ein.
    So traten wir also zu dritt den Heimweg an. Es war gut, daß ich die Äste gesteckt hatte und mich nicht mit dem Abtasten der Wand aufhalten mußte. Ich schritt langsam zwischen Wand und Kuh dahin, immer in Sorge, das Tier könnte sich ein Bein brechen. Sie schien aber an das Gehen im bergigen Gelände gewöhnt zu sein. Ich mußte sie auch nicht antreiben, sondern nur darauf achten, daß sie in sicherer Entfernung von der Wand blieb. Luchs hatte schon begriffen, was meine Spielzeuggrenze bedeutete, und hielt sich immer in sicherem Abstand.
    Auf dem ganzen Weg dachte ich nicht einmal an

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