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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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mähen, und ein Säckchen Bohnen.Ohne diese Dinge, die ich Hugos Ängsten und dem Zufall verdanke, wäre ich nicht mehr am Leben.
    Ich stellte fest, daß ich von den Lebensmitteln schon zuviel verbraucht hatte. Vor allem war es eine Verschwendung, auch Luchs mit ihnen zu füttern; es tat ihm auch nicht gut, er brauchte dringend frisches Fleisch. Das Mehl mochte noch drei Monate reichen, bei größter Sparsamkeit, und ich konnte mich nicht darauf verlassen, bis dahin gefunden zu werden. Ich durfte mich überhaupt nicht darauf verlassen, jemals gefunden zu werden.
    Mein größter Schatz für die Zukunft waren die Erdäpfel und die Bohnen. Ich mußte unbedingt einen Platz finden, an dem ich einen kleinen Acker anlegen konnte. Und vor allem mußte ich mich dazu entschließen, für frisches Fleisch zu sorgen. Ich konnte mit Gewehren umgehen, hatte mich oft mit Erfolg an Scheibenschießen beteiligt, aber ich hatte noch nie auf lebendes Wild geschossen.
    Später fand ich an der Wildfütterungsstelle sechs rote Salzlecksteine und bewahrte sie in der Küche im Trockenen auf. Schon lange habe ich nur noch dieses rohe Salz. Im Sommer konnte ich auch mit Luises Angelzeug Forellen fangen. Ich hatte es nie zuvor getan, aber das konnte ja nicht allzu schwierig sein. Die Aussicht auf derart mörderische Betätigung gefiel mir gar nicht, es blieb mir aber keine Wahl, wenn ich mich und Luchs am Leben erhalten wollte.
    Mittags kochte ich Milchreis und verzichtete auf Zucker. Trotz meiner Sparsamkeit besaß ich aber schon nach acht Wochen kein Stück Zucker mehr und mußte in Zukunft auf jede Süßigkeit verzichten.
    Ich nahm mir auch fest vor, täglich die Uhren aufzuziehen und einen Tag vom Kalender abzustreichen. Das schien mir damals sehr wichtig, ich klammerte michgeradezu an die spärlichen Reste menschlicher Ordnung, die mir geblieben waren. Gewisse Gewohnheiten habe ich übrigens nie abgelegt. Ich wasche mich täglich, reinige meine Zähne, wasche die Wäsche und halte das Haus sauber.
    Ich weiß nicht, warum ich das tue, es ist fast ein innerer Zwang, der mich dazu treibt. Vielleicht fürchte ich, wenn ich anders könnte, würde ich langsam aufhören, ein Mensch zu sein, und würde bald schmutzig und stinkend umherkriechen und unverständliche Laute ausstoßen. Nicht daß ich fürchtete, ein Tier zu werden, das wäre nicht sehr schlimm, aber ein Mensch kann niemals ein Tier werden, er stürzt am Tier vorüber in einen Abgrund. Ich will nicht, daß mir dies zustößt. In letzter Zeit habe ich gerade davor die größte Angst, und diese Angst läßt mich meinen Bericht schreiben. Wenn ich am Ende angelangt bin, werde ich ihn gut verstecken und ihn vergessen. Ich will nicht, daß das fremde Ding, in das ich mich verwandeln könnte, ihn eines Tages finden wird. Ich werde alles tun, um dieser Verwandlung zu entgehen, aber ich bin nicht eingebildet genug, fest zu glauben, mir könne nicht widerfahren, was so vielen Menschen vor mir geschehen ist.
    Schon heute bin ich ja nicht mehr der Mensch, der ich einmal war. Woher sollte ich wissen, in welche Richtung ich gehe? Vielleicht habe ich mich schon so weit von mir entfernt, daß ich es gar nicht mehr merke.
    Wenn ich jetzt an die Frau denke, die ich einmal war, ehe die Wand in mein Leben trat, erkenne ich mich nicht in ihr. Aber auch die Frau, die auf dem Kalender vermerkte, am zehnten Mai Inventur, ist mir sehr fremd geworden. Es war ganz vernünftig von ihr, Notizen zu hinterlassen, daß ich sie in der Erinnerung zu neuem Leben erwecken kann. Es fällt mir auf, daß ich meinenNamen nicht niedergeschrieben habe. Ich hatte ihn schon fast vergessen, und dabei soll es auch bleiben. Niemand nennt mich mit diesem Namen, also gibt es ihn nicht mehr. Ich möchte auch nicht, daß er vielleicht eines Tages in den Illustrierten der Sieger erscheint. Unvorstellbar, daß es irgendwo auf der Welt noch Illustrierte geben sollte. Aber warum eigentlich nicht? Hätte sich die Katastrophe in Belutschistan abgespielt, säßen wir völlig ungerührt in den Kaffeehäusern und läsen darüber in der Zeitung. Heute sind wir Belutschistan, ein sehr entferntes, fremdes Land, von dem man kaum weiß, wo es liegt, ein Land, in dem Menschen wohnen, die vermutlich gar keine richtigen Menschen sind, unterentwickelt und unempfindlich gegen Schmerzen; Zahlen und Nummern in fremden Zeitungen. Keine Ursache, sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Ich erinnere mich sehr gut, wie wenig Phantasie die meisten Menschen

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