Die Wand
Kirchtürme zu zählen. Fünf waren es schließlich und ein paar winzige Häuser. Die Wälder und Wiesen zeigten noch keine Verfärbung. Dazwischen gab es gelbbraune Rechtecke, die nicht abgeernteten Getreidefelder. Die Straßen lagen leer. Ein paar kleine Gegenstände glaubte ich als Lastautos zu erkennen. Nichts bewegte sich dort unten, kein Rauch stieg auf, und kein Vogelschwarm fiel in die Felder ein. Ich suchte den Himmel ab, lange Zeit.Er blieb leer und ohne jede Bewegung. Ich hatte ja nichts anderes zu sehen erwartet. Das Glas glitt mir aus der Hand und schlug auf meinen Knien auf. Jetzt konnte ich die Kirchtürme nicht mehr erkennen.
Luchs langweilte sich und wollte weitergehen. Ich stand auf und folgte ihm. Den leeren Eimer ließ ich in der Almhütte zurück, um ihn nicht wieder herauftragen zu müssen, aber die Kalender, ein Säckchen Mehl und das Butterfaß nahm ich mit. Ich band es auf dem Rucksack fest, und es fing sofort an, mich zu drücken und zu stoßen. Aber ich konnte nicht darauf verzichten. Es war mühsam genug, die Butter in winzigen Portionen mit der Schneerute zu schlagen. Jetzt, da ich ein Butterfaß besaß, konnte ich sogar daran denken, Butterschmalz auszulassen. Luchs erlitt einen seiner Anfälle und raste über die Wiese, daß die langen Ohren flogen. Ich keuchte mit dem Butterfaß hinterdrein. Immer schon hatte ich eine Abneigung gegen schwere Lasten gehabt, und immer hatte ich mich abschleppen müssen. Zuerst mit der unmäßig geschwollenen Schultasche, dann mit Koffern, Kindern, Einkaufstaschen und Kohlenkübeln, und jetzt, nach Heubündeln und Holzscheiten, auch noch mit einem Butterfaß. Ich wunderte mich darüber, daß meine Arme noch nicht bis zu den Knien reichten. Vielleicht hätte mir dann beim Bücken das Kreuz weniger weh getan. Es fehlten mir nur noch Krallen, ein dichter Pelz und lange Fangzähne, und ich wäre ein völlig angepaßtes Geschöpf gewesen. Neiderfüllt sah ich Luchs, der leichtfüßig über die Wiese flog, und es fiel mir ein, daß ich seit dem Morgen nur ein wenig Brunnenwasser auf der Alm getrunken hatte. Ich hatte ganz vergessen zu essen. Mein Proviant ruhte unter dem Butterfaß. Ich kam ganz erschöpft im Jagdhaus an, und die Schultern schmerzten mich tagelang. Aber das Butterfaß war gerettet.
In meinem Kalender finde ich jetzt vierzehn Tage keinerlei Notizen. Ich erinnere mich kaum an diese Zeit. Ging es mir so gut oder so schlecht, daß ich nicht schreiben mochte? Ich glaube, eher schlecht. Die eintönige Ernährung und die großen Anstrengungen hatten mich sehr geschwächt. Es muß aber in dieser Zeit gewesen sein, daß ich Fallholz und Rinden sammelte und in der oberen Kammer aufstapelte. Ich hatte das schon früher einmal getan. Ich brauchte trockenes Holz zum Unterzünden. Das Holz unter der Veranda war zwar bei ruhigem Wetter geschützt, aber wenn es stürmte und regnete, wurde es doch manchmal feucht und wollte nicht anbrennen. Ich hätte die Garage sehr gut als Holzhütte verwenden können, aber ich brauchte sie für das Heu. Übrigens hat feuchtes Holz auch Vorteile, es verbrennt viel langsamer, und man muß weniger oft nachlegen. Am Abend, wenn ich will, daß das Feuer über Nacht nicht ausgeht, lege ich immer feuchtes Holz darauf.
Am zweiten Oktober erwachte ich auf dem Kalender zu neuem Leben. Die Erdäpfel wurden geerntet. Ich schleppte sie in Säcken nach Hause und breitete sie in der Schlafkammer aus. Ich wagte nicht, sie in den kleinen Keller zu tun, der hinter der Hütte in den Berg gegraben ist. Versuchsweise legte ich ein paar Erdäpfel hinein, und sie erfroren beim ersten Frost. In der Schlafkammer war es, bei geschlossenen Läden, dunkel und kühl und, sonderbarerweise, nicht feucht. Sie war jetzt schrecklich angeräumt, weil ich alle Vorräte darin untergebracht hatte. Mein Anfangskapital hatte sich vervielfacht. Am Abend kochte ich trotz meiner Müdigkeit einen Topf Erdäpfel und aß sie mit frischer Butter. Es war ein Festessen, und ich wurde endlich einmal wirklich satt und schlief am Tisch ein. Auch Luchs, der mich nach einer Stunde vorwurfsvoll weckte, hatte Erdäpfelbekommen, nur die Katzen, reine Raubtiere, hatten sie verschmäht. Luchs fraß übrigens gerne Erdäpfel, aber ich gab sie ihm nicht oft, weil ich wußte, daß sie ihm nicht guttaten.
Ich wollte den Acker nicht verwildern lassen, ich konnte im ersten Jahr des Unkrauts kaum Herr werden, und so entschloß ich mich dazu, ihn gleich umzustechen. Nach einem Rasttag,
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