Die Wand
an dem ich die Bohnen abnahm, fing ich mit dem Umstechen an. Erst als das geschehen war, fühlte ich mich beruhigt. Die Bohnen trocknete ich in der Sonne und legte sie gleich als Saatgut weg. Auch von den Erdäpfeln räumte ich nach langem Beredinen und Überlegen einen Teil zur Seite. Ich hielt mich immer daran, diesen Teil nicht anzurühren. Es war besser, ein paar Wochen mäßig zu hungern, als im kommenden Jahr zu verhungern. Als meine Ernte eingebracht war, fielen mir die Obstbäume auf jener Wiese ein, auf der ich Bella gefunden hatte. Ich fand dort einen Apfelbaum, zwei Zwetschgenbäume und einen Holzapfelbaum. Die Zwetschgenbäume trugen vierundzwanzig Früchte, kleine, fleckige, mit Harztropfen behängte Dinger, die sehr süß waren. Ich aß sie auf der Stelle auf und bekam nachts Bauchschmerzen davon. Der Apfelbaum trug vielleicht fünfzig Früchte, große, hartschalige, rotbackige Winteräpfel, die einzige Apfelsorte, die im Gebirge wirklich gedeiht. Früher hatte ich immer gefunden, sie schmeckten nach Rüben. Ich mußte damals sehr heikel und verwöhnt gewesen sein. Der Holzapfelbaum war über und über bedeckt mit seinen winzigen roten Äpfelchen. Man kann sie eigentlich nur der Mostmaische beimengen. Ich esse sie mit einiger Überwindung wegen der Vitamine das ganze Jahr hindurch. Die Äpfel waren noch nicht ganz reif, und so ließ ich sie noch stehen. Es war ein herrlicher Tag, die Luft war schon ein wenigkühl und prickelnd, und ich konnte mit großer Klarheit jeden Baum und jedes Gehöft jenseits der Wand sehen. Die Vorhänge waren noch immer zugezogen, und die beiden Kühe, Bellas Gefährtinnen, lagen in ihrem tiefen steinernen Schlaf. Das Gras, niemals gemäht, reichte ihnen bis über die Flanken und verbarg ihre Nüstern vor mir. Rund um das kleine Haus wuchs eine Flut von Brennesseln. Es hätte ein schöner Ausflug sein können, aber der Anblick der beiden Tiere und des Nesselwaldes hatte mich verstört und bedrückt.
Der Herbst war mir immer die liebste Jahreszeit, wenn ich mich auch körperlich nie sehr wohl fühlte. Bei Tag war ich müde und doch überwach, und nachts lag ich stundenlang in einem unruhigen Halbschlaf und träumte wirr und lebhafter als sonst. Die Herbstkrankheit verschonte mich auch im Wald nicht, aber da ich sie mir kaum erlauben konnte, trat sie gemildert auf. Vielleicht hatte ich auch nicht Zeit, sie besonders zu beachten. Luchs war sehr aufgekratzt und munter, aber ein Fremder hätte wahrscheinlich keinen Unterschied bemerkt. Er war ja fast immer munter. Ich habe ihn nie länger als drei Minuten mürrisch gesehen. Er konnte einfach der Aufforderung, fröhlich zu sein, nicht widerstehen. Und das Leben im Wald war eine ständige Verlockung für ihn. Sonne, Schnee, Wind, Regen, alles war ein Anlaß zur Begeisterung. Ich konnte neben Luchs nie lange traurig bleiben. Es war fast beschämend, daß es ihn so glücklich machte, mit mir zusammen zu sein. Ich glaube nicht, daß wildlebende erwachsene Tiere glücklich oder auch nur fröhlich sind. Das Zusammenleben mit den Menschen muß im Hund diese Fähigkeit geweckt haben. Ich möchte wissen, warum wir auf Hunde wie ein Rauschgift wirken. Vielleicht verdankt der Mensch seinen Größenwahn dem Hund. Sogar ich bildete mir manchmal ein, es müßtean mir etwas Besonderes sein, wenn Luchs sich bei meinem Anblick vor Freude fast überschlug. Natürlich war nie etwas Besonderes an mir, Luchs war, wie alle Hunde, einfach menschensüchtig.
Manchmal, wenn ich jetzt allein unterwegs bin im winterlichen Wald, rede ich wie früher zu Luchs. Ich weiß gar nicht, daß ich es tue, bis mich irgend etwas aufschrecken läßt und ich verstumme. Ich wende den Kopf und erhasche den Schimmer eines rotbraunen Felles. Aber der Weg ist leer, kahle Sträucher und nasse Steine. Es wundert mich nicht, daß ich noch immer die dürren Äste hinter mir knistern höre unter dem leichten Tritt seiner Sohlen. Wo anders sollte seine kleine Hundeseele spuken als auf meiner Spur? Es ist ein freundlicher Spuk, und ich fürchte ihn nicht. Luchs, schöner braver Hund, mein Hund, wahrscheinlich macht nur mein armer Kopf das Geräusch deiner Tritte, den Schimmer deines Fells. Solange es mich gibt, wirst du meine Spur verfolgen, hungrig und sehnsüchtig, wie ich selbst hungrig und sehnsüchtig unsichtbare Spuren verfolge. Wir werden beide unser Wild nie stellen.
Am zehnten Oktober erntete ich die Äpfel und legte sie in der Schlafkammer auf einer Decke aus. Es war jetzt
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