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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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erste Schnee. Luchs begrüßte ihn freudig, die Katze war verstimmt, und Perle starrte neugierig in das weiße Treiben. Ich öffnete ihr die Tür, und sie näherte sich vorsichtig dem fremden weißen Zeug, das den Weg bedeckte. Ganz langsam hob sie eine Pfote, berührte den Schnee, schüttelte sich erschreckt und floh in die Hütte zurück. Zehnmal am Tag versuchte sie es von neuem, brachte es aber nie fertig, die Pfote in die nasse Kälte einzutauchen. Schließlich setzte sie sich aufs Fensterbrett und döste wie ihre Mutter vor sich hin. Die alte Katze war abgehärtet und mutig, aber sie stapfte ungern durch den Schnee, solange er noch naß war. Nachts schlüpfte sie ins Freie, um ihre Notdurft zu verrichten, kam aber gleich wieder zurück. Sie ist ein äußerst sauberes Tier, sie benimmt sich im Haus wie ein reiner Geist, und sie hat auch ihre Kinder zu größter Sauberkeit erzogen. Auch ihre Jagdbeute verzehrte sie irgendwo im Freien. Wahrscheinlich war es ihr früher überhaupt nicht erlaubt gewesen, das Haus zu betreten. Perle brachte ihre Forellen immer nach Hause, und Tiger legte mir jedes Beutetier erst zu Füßen und mußte gestreichelt werden, ehe er es anrührte. Ich bin aber sehr froh, daß die Katze mich mit derlei Aufmerksamkeiten verschont und so außerordentlich unabhängig ist. Sie könnte sich zur Not auch ohne meine Hilfe durchschlagen.
    Alle meine Katzen haben und hatten die Gewohnheit, nach dem Fressen ihre Schüssel zu umkreisen und aufdem Boden zu scharren. Ich weiß nicht, was das bedeutet, sie versäumten es aber niemals. Katzen leben überhaupt unter einem geradezu byzantischen Zeremoniell und nehmen es sehr übel, wenn man sie bei ihrem geheimnisvollen Ritual stört. Luchs war im Vergleich zu ihnen ein schamloses Naturkind, und sie schienen ihn darob ein wenig zu verachten.
    Setzte ich eine meiner Katzen auf die Bank, sprang sie herunter, ging dreimal auf und ab und setzte sich dann genau dorthin, wo ich sie zuvor hingesetzt hatte. Mit dieser Geste beharrten sie auf ihrer Freiheit und Unabhängigkeit. Es bereitete mir immer Freude, sie zu beobachten, und meiner Zuneigung war immer ein wenig verzagte Bewunderung beigemischt. Luchs schien ähnlich zu empfinden. Er hing an den Katzen, weil sie zu uns gehörten, besonders Perle mochte er gern, weil sie ihn niemals abwies und anfauchte, aber er schien sich den Katzen gegenüber immer ein wenig unsicher zu fühlen.
    Es war schön, in jenem ersten Oktober mit Luchs, Perle und der alten Katze zu hausen. Endlich fand ich Zeit, mich mit ihnen zu befassen.
    Der Wintereinbruch dauerte nur einige Tage. Nachher kam der Föhn und leckte den jungen Schnee von den Bergen. Es wurde unangenehm warm, und der Wind fuhr Tag und Nacht fauchend um das kleine Haus. Ich schlief schlecht und lauschte dem Röhren der Hirsche, die in der Brunftzeit von den Höhen stiegen. Luchs wurde unruhig und bellte und winselte sogar im Schlaf. Er mochte von längst vergangenen Jagden träumen. Beide Katzen zog es hinaus in den warmen feuchten Wald. Ich lag wach und machte mir Sorgen um Perle. Das Röhren der Hirsche klang traurig, drohend und manchmal fast verzweifelt. Vielleicht schien es auch nur mir so zu klingen; in den Büchern habe ich es ganz anders gelesen. Dastand immer von heller Herausforderung, Stolz und Lust. Es mag an mir liegen, daß ich all dies nie heraushören konnte. Für mich klang es immer nach einem schrecklichen Zwang, der sie dazu trieb, blind in die Gefahr zu rennen. Sie konnten ja nicht wissen, daß ihnen in diesem Jahr kein Unheil drohte. Das Fleisch eines Brunfthirsches ist völlig ungenießbar. Ich lag also wach und dachte an die kleine Perle, die so unerfahren war und so gefährdet mit ihrem weißen Pelzchen in einer Welt der Eulen, Füchse und Marder. Ich hoffte nur, der Föhn würde nicht zu lange dauern und der Winter uns endlich ein wenig Ruhe bringen. Der Föhn dauerte auch wirklich nur drei Tage, gerade lange genug, um Perle zu töten.
    Am dritten November kam sie morgens nicht nach Hause. Ich suchte sie mit Luchs, aber wir fanden sie nicht. Der Tag schlich langsam und trostlos dahin. Das Wetter war immer noch föhnig, und der warme Wind machte mich ruhelos. Auch Luchs wanderte immer hin und her; war er im Freien, wollte er schon wieder ins Haus und sah ratlos zu mir auf. Nur die alte Katze lag auf meinem Bett und schlief. Sie schien Perle nicht zu vermissen. Es wurde Abend; ich versorgte die Kuh, kochte ein paar Erdäpfel und fütterte Luchs

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