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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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Nüstern. Erinnerungen steigen aus ihrem schweren Leib auf und sinken nieder im trägen Lauf des Blutes. Ich weiß gar nichts darüber. Jeden Morgen streichle ich ihren großen Schädel, spreche zu ihr und sehe ihre feuchten riesigen Augen auf mein Gesicht gerichtet. Wären es Menschenaugen, fände ich sie ein wenig verrückt.
    Die Lampe steht auf dem kleinen Herd. In ihrem gelben Licht wasche ich Bellas Euter mit warmem Wasser und fange dann zu melken an. Sie gibt wieder etwas Milch. Nicht viel, aber genug für mich und die Katze. Und ich rede und rede, ich verspreche ihr ein neues Kalb, einen langen warmen Sommer, frisches grünes Gras, warme Regengüsse, die die Mücken verscheuchen und immer wieder ein Kalb. Und sie schaut mich an aus ihren sanft-verrückten Augen, drängt die breite Stirn an mich und läßt sich die Hornansätze kraulen. Ich bin warm und lebendig, und sie spürt, daß ich ihr wohlwill. Mehr werden wir nie voneinander wissen. Nach dem Melken säubere ich den Stall, und die kalte Winterluft strömt herein. Ich lüfte nie länger als notwendig. Der Stall ist ohnedies kühl; Atem und Wärme einer Kuherzeugen nur ein wenig Lauigkeit. Ich werfe Bella das raschelnde duftende Heu vor und fülle das Schaff mit Wasser, und einmal in der Woche bearbeite ich ihr kurzes glattes Fell mit der Bürste. Dann nehme ich die Lampe an mich und lasse sie für einen langen einsamen Tag in der Dämmerung zurück. Ich weiß nicht, was geschieht, wenn ich den Stall verlasse. Blickt Bella mir lange nach, oder sinkt sie bis zum Abend in einen ruhigen Halbschlaf? Wenn ich nur wüßte, wie ich die Tür in der Schlafkammer ausbrechen werde. Jeden Tag, wenn ich Bella allein zurücklassen muß, denke ich daran. Ich habe ihr auch schon erzählt davon, und sie hat mir mitten in der Erzählung das Gesicht abgeschleckt. Arme Bella.
    Dann trage ich die Milch ins Haus, schüre das Feuer und bereite das Frühstück. Die Katze erhebt sich von meinem Bett, schreitet zu ihrem Teller und trinkt. Dann zieht sie sich ins Ofenloch zurück und wäscht ihren Winterpelz. Seit Luchs tot ist, schläft sie tagsüber auf seinem alten Platz unter dem warmen Ofen. Ich habe nicht das Herz, sie zu vertreiben. Es ist auch besser so, als die traurige leere Höhle sehen zu müssen. Am Morgen reden wir kaum miteinander; sie ist dann eher griesgrämig und verschlossen. Ich kehre die Stube, trage Holz für den Tag ins Haus. Inzwischen ist es hell geworden, so hell es eben an einem bedeckten Wintermorgen wird. Die Krähen fallen schreiend in die Lichtung ein und lassen sich auf den Fichten nieder. Dann weiß ich, daß es halb neun ist. Wenn ich Abfälle habe, trage ich sie auf die Lichtung und lege sie unter die Fichten. Wenn ich im Freien arbeiten muß, Holz hacken, Schnee schaufeln oder Heu holen, trage ich Hugos Lederhose. Es hat mich viel Mühe gekostet, sie um die Mitte enger zu machen. Sie reicht mir bis zu den Knöcheln und hält mich auch ansehr kalten Tagen warm. Nach dem Mittagessen und Aufräumen setze ich mich an den Tisch und schreibe an meinem Bericht. Ich könnte ja auch schlafen, aber das will ich nicht. Ich muß am Abend so müde sein, daß ich auf der Stelle einschlafen kann. Ich darf ja auch die Lampe nicht zu lange brennen lassen. Im kommenden Winter werde ich mich schon mit Kerzen aus Hirschtalg behelfen müssen. Ich habe es schon versucht, sie stinken abscheulich, aber ich werde mich auch daran gewöhnen müssen.
    Gegen vier Uhr, wenn ich die Lampe anzünde, kommt die Katze aus dem Ofenloch und springt zu mir auf den Tisch. Eine Zeitlang sieht sie mir geduldig beim Schreiben zu. Sie liebt das gelbe Lampenlicht ebensosehr wie ich. Wir hören die Krähen unter rauhem Geschrei aus der Lichtung aufsteigen, und die Katze wird nervös und legt die Ohren zurück. Wenn sie sich wieder beruhigt hat, ist unsere Stunde gekommen. Die Katze schlägt mir zart den Bleistift aus der Hand und macht sich auf den beschriebenen Blättern breit. Dann streichle ich sie und erzähle ihr alte Geschichten oder ich singe für sie. Ich kann nicht gut singen und tue es nur leise und eingeschüchtert von der Stille des Winternachmittags. Aber die Katze mag meinen Gesang. Sie liebt ernste getragene Töne, besonders Kirchenlieder. Hohe Töne mag sie nicht, ebensowenig wie ich. Wenn sie genug hat, hört sie auf zu schnurren, und ich bin sofort still. Das Feuer knistert und knackt im Ofen, und wenn es schneit, sehen wir gemeinsam den großen Flocken nach. Wenn es regnet

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