Die Wand
oder stürmt, neigt die Katze zu Trübsinn, und ich versuche, sie aufzuheitern. Manchmal gelingt es mir, aber meist versinken wir beide in hoffnungsloses Schweigen. Und ganz selten geschieht das Wunder: die Katze steht auf, stößt ihre Stirn gegen meine Wange und stemmt die Vorderpfoten auf meine Brust. Oder sie nimmt meinenFingerknöchel zwischen die Zähne und beißt zart und verspielt daran herum. Es geschieht nicht allzuoft, denn sie geht sparsam um mit den Beweisen ihrer Zuneigung. Bei gewissen Liedern gerät sie in Ekstase und zieht die Krallen wollüstig über das raschelnde Papier. Ihre Nase wird feucht, und ihre Augen überziehen sich mit einem schillernden Film.
Alle Katzen neigen zu geheimnisvollen Zuständen; dann sind sie weit weg und völlig unerreichbar. Perle war verliebt in ein winziges rotes Samtpölsterchen von Luise. Es war für sie ein magischer Gegenstand. Sie schleckte es ab, zog Furchen durch das weiche Gewebe, und endlich ruhte sie darauf aus, weiße Brust auf rotem Samt, die Augen zu grünen Schlitzen verengt, ein prächtiges Fabeltier. Ihr später geborener Halbbruder Tiger war den Düften verfallen. Er konnte die längste Zeit vor einem wohlriechenden Kraut sitzen, den Schnurrbart gespreizt, die Augen geschlossen, Speicheltröpfchen auf der kleinen Unterlippe. Schließlich sah er aus, als werde er im nächsten Augenblick in tausend Stücke zerspringen. Wenn es soweit war, rettete er sich mit einem kühnen Sprung in die Wirklichkeit und raste, mit aufgestelltem Schwanz, kleine Schreie ausstoßend, in die Hütte. Überhaupt pflegte er sich nach derartigen Ausschweifungen recht rüpelhaft zu benehmen, wie ein halbwüchsiger Junge, den man beim Lesen eines Gedichtes ertappt. Man darf Katzen aber niemals auslachen, das nehmen sie sehr übel. Bei Tiger war es manchmal nicht leicht, ernst zu bleiben. Perle war viel zu schön, um ausgelacht zu werden, und ihre Mutter auszulachen, würde ich nicht wagen. Was verstehe ich schon von ihren seltsamen Zuständen? Was verstehe ich überhaupt von ihrem Leben? Ich überraschte sie einmal, als sie hinter der Hütte mit einer toten Maus spielte. Sie mußte dasTierchen gerade erst getötet haben. Was ich damals sah, brachte mich zur Überzeugung, daß sie die Maus als heißgeliebtes Spielzeug betrachtete. Sie legte sich auf den Rücken, drückte das leblose Ding an die Brust und beleckte es zärtlich. Dann stellte sie es vorsichtig hin und gab ihm einen beinahe liebevollen Schubs, beleckte es wieder und wandte sich endlich mit kleinen Klageschreien an mich. Ich sollte ihr Spielzeug wieder beweglich machen. Keine Spur von Grausamkeit oder Bosheit.
Ich habe nie unschuldigere Augen gesehen als die Augen meiner Katze, die gerade eine kleine Maus totgequält hatte. Sie hatte keine Ahnung, daß sie dem kleinen Ding Schmerzen bereitet hatte. Ein geliebtes Spielzeug hatte aufgehört, sich zu bewegen, und die Katze klagte darum. Ich fror im hellen Sonnenschein, und etwas wie Haß regte sich in mir. Ich streichelte die Katze ganz abwesend und spürte, wie der Haß wuchs. Es gab nichts und niemanden, den ich dafür hassen konnte. Ich wußte, ich würde nie begreifen, und ich wollte auch gar nicht begreifen. Ich hatte Furcht. Ich fürchte mich auch heute noch, weil ich weiß, daß ich nur leben kann, wenn ich gewisse Dinge nicht begreife. Es war übrigens das einzige Mal, daß ich die Katze mit einer Maus antraf. Sie scheint ihren entsetzlichen unschuldigen Spielen nur nachts nachzugehen, und ich bin froh darüber.
Jetzt liegt sie vor mir auf dem Tisch, und ihre Augen sind klar wie ein See, auf dessen Grund feinverästelte Pflanzen wachsen. Die Lampe brennt schon zu lange, und es wird Zeit für mich, in den Stall zu gehen und eine halbe Stunde mit Bella zu verbringen, ehe ich sie wieder für eine Nacht allein in der Dunkelheit zurücklassen muß. Und morgen wird es sein, wie es heute ist und wie es gestern war. Ich werde erwachen, aus dem Bett steigen, ehe der erste Gedanke Zeit hat aufzuwachen, undspäter wird die schwarze Krähenwolke sich über die Lichtung senken, und ihr rauhes Geschrei wird den Tag ein wenig beleben.
Früher las ich manchmal am Abend in den alten Zeitungen und Magazinen. Heute habe ich jede Beziehung zu ihnen verloren. Sie langweilen mich. Das einzige, was mich hier im Wald gelangweilt hat, waren die alten Zeitungen. Wahrscheinlich haben sie mich schon immer gelangweilt. Ich wußte nur nicht, daß das ständige leichte Unbehagen Langeweile
Weitere Kostenlose Bücher