Die Wand
ausgeschlossen. Es wurde mir klar, daß ich Bella beneidete, und ich sah zu, daß ich aus dem Stall kam. Dort brauchte man mich jetzt nur zum Füttern, Melken und Ausmisten. Sobald ich die Tür hinter mir zugezogen hatte, verwandelte sich der dämmrige Stall in eine kleine Insel des Glücks, durchtränkt von Zärtlichkeit und warmem Tieratem. Es war besser für mich, nur eine Arbeit zu suchen, als mir darüber Gedanken zu machen. In der Garage war nur noch wenig Heu, und nach dem Frühstück ging ich mit Luchs in die Schlucht, um Heu zu holen. Die Katze lag, sehr mager und mit glanzlosem Fell, auf meinem Bett und schlief den Schlaf der Erschöpfung. Ich ging vormittags zweimal um Heu und nachmittagswiederum, und am nächsten Tag machte ich es ebenso. Es war nicht kalt, es schneite zeitweise in kleinen trockenen Flocken. Die Windstille hielt an. Es war gerade so, wie ich den Winter gern habe. Luchs, endlich auch ermüdet vom Hin- und Herlaufen zwischen Bachwiese und Hütte, rührte sich nicht aus dem Ofenloch, und die Katze schlief tagelang und stand nur zum Fressen und zu ihren kurzen nächtlichen Ausflügen auf. Sie trank den Schlaf wie eine Medizin, ihre Augen wurden wieder klar und ihr Fell wieder glänzend. Sie schien sehr zufrieden, und ich begann zu vermuten, daß das fremde Tier im Wald doch ein Kater gewesen war. Ich nannte ihn Herr Ka-au Ka-au und stellte ihn mir sehr stolz und mutig vor, anders hätte er im Wald wohl nicht überleben können. Ich freute mich nicht auf die jungen Katzen, sie würden mir doch wieder nur Kummer bringen, aber ich gönnte der Katze ihr Glück.
So vieles hatte sich in der letzten Zeit ereignet. Perle war getötet worden, ein kleiner Stier war zur Welt gekommen, die Katze hatte einen Kater gefunden, Rehe waren erfroren, und das Raubzeug hatte einen fetten Winter gehabt. Ich selbst hatte viel Aufregungen hinter mir, und jetzt war ich müde. Ich lag auf der Bank, und wenn ich die Augen schloß, sah ich Schneegebirge am Horizont, weiße Flocken, die sich auf mein Gesicht senkten in einer großen hellen Stille. Es gab keine Gedanken, keine Erinnerungen, nur das große stille Schneelicht. Ich wußte, daß diese Vorstellung für einen einsamen Menschen gefährlich war, aber ich brachte nicht die Kraft auf, mich dagegen zu wehren.
Luchs ließ mich nicht lange in Ruhe. Immer wieder kam er und stieß mich mit der Nase an. Ich wandte mühsam den Kopf und sah das Leben warm und fordernd aus seinen Augen leuchten. Seufzend stand ich auf undging meiner täglichen Arbeit nach. Jetzt ist Luchs nicht mehr, mein Freund und Wächter, und das Verlangen, in die weiße schmerzlose Stille einzugehen, ist manchmal sehr groß. Ich muß selbst auf mich achten und strenger gegen mich sein, als ich es früher war.
Die Katze starrt aus gelben Augen in die Ferne. Manchmal kommt sie plötzlich zu mir zurück, und ihre Augen zwingen mich, die Hand auszustrecken und den runden Kopf mit dem schwarzen M auf der Stirn zu streicheln. Wenn es der Katze angenehm ist, schnurrt sie. Manchmal ist ihr meine Berührung lästig. Sie ist aber zu höflich, um sie abzuwehren, sie erstarrt nur unter meiner Hand und bleibt ganz ruhig. Und ich ziehe langsam meine Hand zurück. Luchs war immer selig, wenn ich ihn streichelte. Freilich, er konnte gar nicht anders, aber ich vermisse ihn deshalb nicht weniger. Er war mein sechster Sinn. Seit er tot ist, fühle ich mich wie ein Amputierter. Etwas fehlt mir und wird mir immer fehlen. Es ist nicht nur, daß ich ihn bei der Jagd und beim Spurensuchen vermisse und stundenlang einem getroffenen Wild nachklettern muß. Das allein ist es nicht, obgleich das Leben dadurch für mich schwieriger geworden ist. Das schlimmste ist, daß ich mich ohne Luchs wirklich allein fühle.
Seit seinem Tod träume ich viel von Tieren. Sie reden zu mir wie Menschen, und es erscheint mir im Traum ganz natürlich. Die Menschen, die im ersten Winter meinen Schlaf bevölkerten, sind ganz fortgegangen. Ich sehe sie nie mehr. In meinen Träumen waren die Menschen nie freundlich zu mir, bestenfalls waren sie teilnahmslos. Die Traumtiere sind immer freundlich und immer voll Leben. Aber ich glaube, das ist nicht so besonders merkwürdig, es zeigt nur, was ich immer von Menschen und Tieren erwartete.
Es wäre viel besser, überhaupt nicht zu träumen. Ich lebe jetzt schon so lange im Wald, und ich habe von Menschen, Tieren und Dingen geträumt, aber nicht einmal von der Wand. Ich sehe sie, sooft ich Heu hole, das
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