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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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nicht länger ertragen konnte und kehrte um. Auch Luchs schien einverstanden zu sein; seine Begeisterung hatte sich rasch abgekühlt. Auf dem Rückweg fand ich in einer Schneewehe halbverborgen ein Reh, das sich den Hinterlauf gebrochen hatte und sich nicht mehr bewegen konnte. Der Lauf war so schlimm gebrochen, daß die Knochensplitter aus der Haut ragten. Ich wußte, daß ich dieser Qual sofort ein Ende machen mußte. Es war ein junges Reh und sehr abgemagert. Ich hatte das Gewehr nicht mit und mußte das Tier mit dem Knickmesser durch einen Stich in den Nacken töten. Das Reh hob matt das Haupt und sah mich an, dann seufzte es, zitterte und fiel zurück in den Schnee. Ich hatte es gut getroffen.
    Es war nur ein kleines Reh, aber es lastete schwer auf mir, als ich heimzu ging. Später, nachdem ich meine Hände in der Hütte aufgetaut hatte, weidete ich es aus. Sein Fell war schon eiskalt, aber als ich es aufbrach, stieg ein wenig Dampf aus dem Leib auf. Sein Herz fühlte sich noch ganz warm an. Ich legte das Fleisch in ein Holzschaff und trug es in eine der oberen Kammern, wo es bis zum nächsten Morgen steif frieren würde. Von der Leber gab ich Luchs und der Katze. Ich mochte nur ein Glas heiße Milch trinken. In der Nacht hörte ich die Kälte im Holz knacken. Ich hatte kräftig nachgelegt, aber ich fröstelte unter der Decke und konnte nicht einschlafen. Manchmal prasselte ein Scheit auf und erlosch wieder, und ich fühlte mich krank. Ich wußte, es kam davon, daß ich immer wieder töten mußte. Ich stellte mirvor, was ein Mensch empfinden mag, dem Töten Freude macht. Es gelang mir nicht. Die Härchen sträubten sich auf meinen Armen, und mein Mund wurde trocken vor Abscheu. Man mußte wohl dazu geboren sein. Ich konnte mich dahin bringen, es möglichst rasch und geschickt zu tun, aber ich würde mich nie daran gewöhnen. Lange lag ich wach in der knisternden Dunkelheit und dachte an das kleine Herz, das über mir in der Kammer zu einem Eisklumpen gefror.
    Das war in der Nacht zum siebten Jänner. Die Kälte hielt noch drei Tage an, aber die Kastanien waren schon am Morgen verschwunden.
    Ich fand noch drei erfrorene Rehe und ein Hirschkalb, und wer weiß, wie viele ich nicht fand.
    Nach der großen Kälte brach eine Welle feuchter wärmerer Luft herein. Der Weg zum Stall verwandelte sich in eine spiegelnde Eisfläche. Ich mußte Asche streuen und das Eis aufhacken. Dann drehte sich der Westwind und kam von Süden und fauchte Tag und Nacht um die Hütte. Bella wurde unruhig, und ich mußte zehnmal am Tag nach ihr sehen. Sie fraß wenig, trat von einem Fuß auf den andern und zuckte beim Melken schmerzlich zurück. Wenn ich an die bevorstehende Geburt dachte, erfaßte mich Panik. Wie sollte ich das Kalb aus Bella herausbringen? Ich war einmal bei der Geburt eines Kalbes dabeigewesen und erinnerte mich ungefähr, wie es dabei zugegangen war. Zwei starke Männer hatten das Kalb aus dem Mutterleib gezogen. Mir war das sehr barbarisch erschienen, und die Kuh hatte mir schrecklich leid getan, aber vielleicht mußte es wirklich so sein. Ich verstand ja nichts davon.
    Am elften Jänner blutete Bella ein wenig. Es war nach der Abendfütterung, und ich beschloß, mich für die Nacht im Stall einzurichten. Ich füllte die Thermosflaschemit heißem Tee, richtete mir einen starken Strick, eine Schnur und eine Schere und stellte ein Schaff Wasser auf den Herd. Luchs wollte unbedingt mit dabei sein, aber ich sperrte ihn ins Haus, er hätte im Stall nur Verwirrung gestiftet. Ich hatte schon einen kleinen Bretterverschlag für das Kalb errichtet und ihn mit frischer Streu gefüllt. Bella begrüßte mich mit dumpfem Muhen und schien froh zu sein über mein Erscheinen. Ich konnte nur hoffen, daß dies nicht ihr erstes Kalb war und sie einige Erfahrungen hinter sich hatte. Dann streichelte ich sie und fing an, ihr Mut zuzusprechen. Sie hatte Schmerzen und war ganz mit den Vorgängen in ihrem Leib beschäftigt. Unruhig trat sie hin und her und legte sich nicht mehr nieder. Es schien sie zu beruhigen, wenn ich zu ihr sprach, also erzählte ich ihr alles, was die Hebamme mir in der Klinik gesagt hatte. Es wird schon gut gehen, es dauert gar nicht mehr lange, es wird kaum noch weh tun und ähnlichen Unsinn. Ich setzte mich auf den Sessel, den ich aus der Garage herübergetragen hatte. Später holte ich das Wasser aus der Hütte, es war dampfend heiß, aber es hatte Zeit auszukühlen. Der Wasserdampf stieg auf, und mir war so

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