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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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beklommen, als sollte ich selber ein Kind bekommen.
    Es wurde neun Uhr. Der Föhn rüttelte am Dach, und ich fing an, vor Nervosität zu frösteln, und schenkte mir heißen Tee ein. Und wiederum versprach ich Bella eine leichte Geburt und ein schönes starkes Kalb. Sie hatte den Schädel zu mir gedreht und sah mich gequält und geduldig an. Sie wußte, daß ich ihr helfen wollte, und das gab mir ein wenig Selbstvertrauen.
    Dann geschah lange Zeit gar nichts. Ich mußte noch einmal Mist wegräumen und ein wenig frische Streu unterbreiten. Der Föhn legte sich, und es wurde plötzlich ganz still. Die Lampe brannte gelb und ruhig aufdem kleinen Herd. Ich durfte sie auf keinen Fall umstoßen. Auf so viele Dinge mußte ich achten. Vielleicht würde auch das Licht bei der Geburt nicht ausreichen.
    Auf einmal war ich schrecklich müde. Meine Schultern schmerzten, und mein Kopf wackelte hin und her. Am liebsten hätte ich mich in die frische Streu im Kälberverschlag gelegt und geschlafen. Ein paarmal nickte ich ein und fuhr erschrocken wieder auf. Bella blutete wieder und hatte starke Wehen. Ihre Flanken krümmten sich und arbeiteten heftig. Manchmal stöhnte sie leise, und ich redete ihr aufmunternd zu. Einmal trank sie ein wenig Wasser. Ich sah, die Sache ging langsam vorwärts. Und dann endlich erschien ein nasses Bein und gleich darauf ein zweites. Bella plagte sich sehr. Ich band, ein wenig zitternd vor Aufregung, die kleinen braunen Beine zusammen und zog am Strick. Es hatte keinerlei Erfolg. Ich besaß nicht die Kräfte von zwei starken Männern. Wie ich so auf Bella hinsah, war mir plötzlich alles ganz klar. Ich konnte mir genau vorstellen, wie das Kalb in ihr lag. Es war ganz unsinnig, an den Vorderbeinen zu ziehen, das mußte den Schädel des Kalbes zurückreißen statt nach vorne drücken. Ich wusch mir die Hände und tastete mich vorsichtig in Bellas warmen Leib hinein. Es war schwieriger, als ich gedacht hatte. Ich mußte warten, bis die Wehe abklang, ehe ich tiefer eindringen konnte. Es gelang mir, den Schädel zu fassen, und mit beiden Händen niederzudrücken. Die nächste Wehe schnürte mir die Arme ein, aber der Schädel glitt vorwärts. Bella stöhnte laut und trat zur Seite. Ich feuerte sie an und drückte den Kopf nieder, bis mir der Schweiß in die Augen lief. Der Schmerz in den Armen wurde unerträglich. Aber da kam schon der Kopf. Bella schnaufte erleichtert.
    Ich wartete bis zur nächsten Wehe und zog am Strick, und da war das Kalb, so plötzlich, daß ich vorspringen und es auf meinen Knien auffangen mußte. Ich ließ es sachte zu Boden gleiten, die Nabelschnur war schon gerissen. Ich legte das Kleine vor Bellas Vorderbeine, und sie fing sofort an, es abzuschlecken. Wir waren beide selig, es so gut gemacht zu haben. Es war ein Stierkalb, und wir hatten es gemeinsam ans Licht gebracht. Bella konnte sich nicht genug darin tun, ihren Sohn abzuschlecken, und ich bewunderte seine feuchten geringelten Stirnlocken. Er war graubraun wie seine Mutter, vielleicht würde er ein wenig dunkler werden. Schon nach ein paar Minuten versuchte er, auf die Beine zu kommen, und Bella sah aus, als wollte sie ihn vor Liebe auffressen. Schließlich, als mir die Schleckerei schon zu genügen schien, hob ich den kleinen Stier auf und trug ihn in seinen Verschlag. Bella konnte sich hinüberneigen und seine Nüstern abschlecken, soviel sie wollte. Dann gab ich ihr lauwarmes Wasser und frisches Heu. Aber ich wußte, die Geburt war noch nicht ganz vorüber. Ich war in Schweiß gebadet. Es war Mitternacht. Ich setzte mich auf den Sessel und trank heißen Tee. Da ich nicht einschlafen durfte, stand ich wieder auf und ging im Stall hin und her.
    Nach einer Stunde wurde Bella wieder unruhig und bekam Wehen. Es dauerte diesmal nur wenige Minuten, dann war auch die Nachgeburt da, und Bella legte sich erschöpft nieder. Ich reinigte den Stall, streute frische Streu auf und sah noch einmal nach dem Kalb. Es war eingeschlafen und hatte sich in der Streu verkrochen. Ich nahm die Lampe an mich, verriegelte die Stalltür und ging ins Haus zurück. Luchs empfing mich aufgeregt, und ich erzählte ihm, wie es gewesen war. Wenn er auch meine Worte nicht verstehen mochte, er begriff bestimmt,daß mit Bella etwas Erfreuliches geschehen war, und kroch beruhigt in sein Ofenloch. Ich wusch mich gründlich, legte frisches Holz aufs Feuer und ging zu Bett.
    In dieser Nacht spürte ich nicht einmal, daß die Katze zu mir aufs Bett sprang und

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