Die Wand
wachsen nicht schneller, wenn ich die Hände ringe, und auch mein kleiner Stier wurde nicht über Nacht erwachsen. Als er es dann endlich war, wünschte ich manchmal, er wäre ewig ein kleines rundes Kalb geblieben. Er stellte mich vor Probleme, die mir das Leben sehr erschwerten.
Ich mußte warten und warten. Hier hat alles sehr viel Zeit, eine Zeit, die nicht von tausend Uhren gehetzt wird. Nichts treibt und drängt, ich bin die einzige Unruhe im Wald und leide immer noch darunter.
Der März brachte einen Rückschlag. Es schneite und fror, und über Nacht verwandelte sich der Wald in eine gleißende Winterlandschaft. Die Kälte blieb aber gemäßigt, denn mittags lag die Sonne schon warm auf dem Hang und das Wasser tropfte vom Dach. Dem Wild drohte keine Gefahr, auf der Sonnenseite gab es schon genug apere Stellen mit Gras und Laub. Ich fand kein totes Reh mehr in jenem Frühling. Wenn die Sonne schien, ging ich mit Luchs ins Revier oder holte Heu aus dem Stadel. Einmal erlegte ich einen schwachen Bock und ließ ihn einfrieren. Endlich kam Tauwetter, und es regnete und stürmte ein paar Tage lang. Ich konnte nicht weiter sehen als vom Haus zum Stall, so tief hing der Nebel herab. Ich lebte auf einer kleinen warmen Insel in einem feuchten Nebelmeer. Luchs fing an, trübsinnig zu werden, und trottete dauernd zwischen Hütte und Lichtung hin und her. Ich konnte ihm nicht helfen, das naßkühle Wetter tat mir nicht gut, und ich wollte mich nicht erkälten. Ich spürte schon Kratzen im Hals und einen leichten Husten. Aber es wurde weiter nichts daraus und ging am folgenden Tag schon zurück. Vielschlimmer war, daß ich rheumatische Schmerzen in allen Gelenken bekam. Plötzlich wurden meine Finger dick und rot, und ich konnte sie nur unter Schmerzen abbiegen. Ich fieberte leicht, schluckte Hugos Rheumapillen, saß ärgerlich in der Hütte und malte mir aus, daß ich schließlich meine Hände überhaupt nicht mehr rühren könnte.
Endlich ging der Regen in Graupeln und wieder in Schnee über. Meine Finger waren immer noch geschwollen, und jeder Handgriff tat mir weh. Luchs sah, daß ich krank war, und überschwemmte mich mit Liebesbezeigungen. Einmal brachte er mich damit zum Weinen, und wir saßen beide nachher beklommen auf der Bank. Die Krähen saßen auf ihren Fichten und warteten auf Abfälle. Sie schienen mich als prächtige Einrichtung zu betrachten, als eine Art Sozialversicherung, und wurden von Tag zu Tag fauler.
Am elften März sprang die Katze vom Bett, trat vor den Kleiderkasten und verlangte dringend Einlaß. Ich nahm ein altes Tuch, legte es in den Kasten, und die Katze schlüpfte hinein. Ich ging inzwischen meiner Arbeit nach, und erst am Abend, als ich aus dem Stall kam, fiel mir die Katze wieder ein, und ich sah in den Kasten. Es war schon alles vorüber. Sie schnurrte laut und beleckte freudig meine Hand. Diesmal waren es drei Junge, und alle drei lebten. Drei Tigerkatzen vom hellsten bis zum dunkelsten Grau, alle schon sauber geleckt und auf Nahrungssuche aus. Die Katze nahm sich kaum Zeit zu trinken und wandte sich sofort ihrem Nachwuchs zu. Ich ließ die Kastentür angelehnt und scheuchte den neugierigen Luchs zurück. Diesmal war die Katze nicht so wild wie bei Perle, sie fauchte Luchs zwar an, aber, wie mir schien, eher der Form halber. Es war sonderbar, wie sehr Luchs sich für das freudige Ereignis interessierte.Da er seine Hochstimmung nicht anders äußern konnte, fraß er eine doppelte Portion. Ich habe überhaupt bemerkt, daß jede seelische Erregung bei ihm eine zwanghafte Freßlust auslöste. Auch die Katze reagierte ähnlich; wenn sie sich über die Krähen geärgert hatte, ging sie häufig zur Freßschüssel. In jener Nacht kam die Katze nicht zu mir ins Bett, und ich lag wach und dachte an Perle. Der Blutfleck auf dem Fußboden wollte nicht verblassen. Ich hatte beschlossen, ihn nicht zu verdecken. Ich mußte mich an ihn gewöhnen und mit ihm leben. Und jetzt gab es wieder drei Katzenkinder. Ich nahm mir vor, sie nicht liebzugewinnen, aber es war vorauszusehen, daß es mir nicht gelingen würde, diesen Vorsatz zu halten.
Langsam setzte sich eine Wetterbesserung durch. Über Land war es bestimmt längst heiter, aber im Gebirge braute der Nebel oft noch eine Woche lang, ehe er sich auflöste. Und dann wurde es sehr rasch fast sommerlich warm, und überall sprossen Gras und Blumen fast über Nacht aus der feuchten Erde. Die Fichten setzten junge Triebe an, und die Brennesseln um den
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