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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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erwachte erst beim Morgenlicht. Mein erster Weg war zum Stall. Mit Herzklopfen schob ich den Riegel zurück. Bella war gerade damit beschäftigt, ihrem Sohn die Nase abzuschlecken, und ich atmete auf bei diesem Anblick. Er stand schon fest auf seinen kräftigen Beinen, und ich führte ihn zu seiner Mutter und drückte sein Maul gegen ihr Euter. Er begriff sofort und trank sich voll. Bella trat von einem Bein aufs andere, wenn er mit seinem runden Schädel gegen ihren Leib rannte. Er war sichtlich ein aufgeweckter kleiner Kerl. Als er genug hatte, molk ich Bella leer. Die Milch war gelb und fett und schmeckte mir nicht. Bella sah jetzt ein wenig eingefallen und verhärmt aus, aber ich wußte, das würde sich bei guter Pflege bald geben. In ihren feuchten Augen konnte ich lesen, daß sie in warmem Glück schwamm. Mir wurde ganz sonderbar zumute, und ich mußte aus dem Stall flüchten.
    Der Föhn hielt noch immer an, und es blieb windig und regnerisch. Später brach ein feuchtblauer Himmel durch das fliegende Gewölk, und schwarze Schatten huschten über die Lichtung. Ich fühlte mich unruhig und gespannt. Die Katze war wie elektrisch. Ihr Haar sträubte sich und knisterte, wenn ich darüberstrich. Sie war ruhelos, lief klagend hinter mir her, bohrte ihre heiße, trockene Nase in meine Handfläche und wollte nicht fressen. Ich fürchtete schon, eine unbekannte Katzenkrankheit hätte sie befallen, als mir endlich klar wurde, daß sie nach einem Kater schrie. Hundertmal ging sie in den Wald, kam wieder zurück und überfielmich mit klagenden Zärtlichkeiten. Sogar Luchs, der den Föhn kaum spürte, wurde von ihrer Unruhe angesteckt und lief ratlos immer um das Haus herum. Nachts erwachte ich davon, daß ein fremdes Tier im Wald schrie: Ka-au, ka-au. Es klang ein wenig nach Kater, aber doch wieder nicht, und ich machte mir Sorgen um meine Katze. Sie blieb drei Tage aus, und ich hatte kaum noch Hoffnung, sie wiederzusehen.
    Das Wetter schlug um, und es fing an zu schneien. Ich war froh darüber, denn ich fühlte mich matt und nicht arbeitsfähig. Der warme Wind hatte mir heftig zugesetzt. Ich hatte mir eingebildet, er trüge leichten Verwesungsgeruch mit sich. Vielleicht war es keine Einbildung. Wer weiß, was alles aufgetaut war, das da steifgefroren im Wald gelegen hatte. Es war eine Wohltat, den Wind nicht mehr hören zu müssen und den leichten Flocken zuzusehen, die am Fenster vorüberschwebten.
    In dieser Nacht kam die Katze zurück. Ich zündete die Kerze an, und die Katze sprang auf meine Knie. Ich spürte ihr nasses, kaltes Fell durch das Nachthemd durch und schloß sie in die Arme. Sie schrie und schrie und wollte mir erzählen, was ihr widerfahren war. Immer wieder stieß sie mit dem Kopf gegen meine Stirn, und ihr Geschrei lockte Luchs aus dem Ofenloch, der die Wiedergekehrte freudig beschnüffelte. Schließlich stand ich auf und wärmte ein wenig Milch für die beiden. Die Katze war völlig ausgehungert, struppig und verwahrlost, gerade so wie damals, als sie vor meiner Tür geschrien hatte. Ich lachte, schalt und lobte sie in einem Atem, und Luchs war äußerst verwirrt, als auch er mit Kopfstößen beehrt wurde. Etwas Außergewöhnliches mußte der Katze geschehen sein. Vielleicht verstand Luchs mehr von dem Geschrei als ich, jedenfalls schien es sich um etwas Erfreuliches zu handeln, denn er trabtezufrieden auf seine Schlafstelle zurück. Die Katze konnte sich nicht so rasch beruhigen. Mit aufgestelltem Schwanz stolzierte sie auf und ab, wand sich um meine Beine und stieß kleine Schreie aus. Erst als ich mich wieder niedergelegt und die Kerze ausgeblasen hatte, kam sie zu mir ins Bett und fing an, sich gründlich zu waschen. Ich fühlte mich seit Tagen zum erstenmal ruhig und gelöst. Die Stille der Winternacht war ein liebliches Wunder nach dem Fauchen und Ächzen des Föhns. Endlich schlief ich ein, das zufriedene Schnurren der Katze im Ohr.
    Am Morgen lag der Neuschnee zehn Zentimeter hoch. Es war noch immer windstill, und ein gedämpftes weißes Licht lag über der Waldwiese. Im Stall begrüßte mich Bella schon ungeduldig und ließ sich ihren hungrigen Sohn zuführen. Er wurde von Tag zu Tag stärker und munterer, und Bellas eingefallener Leib hatte sich schon ein wenig gerundet. Bald würde nichts mehr an jene föhnige Jännernacht erinnern, in der wir den kleinen Stier zur Welt gebracht hatten.
    Die beiden waren ganz und gar miteinander beschäftigt, und ich fühlte mich ein wenig verloren und

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