Die Wanderapothekerin 1-6
verzehrten. Den Dörflern standen Wut und Hass ins Gesicht geschrieben, doch aus Angst vor dem Grafen blieben sie stumm.
Obwohl das Brot frisch war und die Wurst gut schmeckte, brachte Klara kaum etwas hinunter. Immer wieder suchte ihr Blick die Gefangene, die sich mittlerweile mit ihrem Schicksal abgefunden zu haben schien. Martha weinte und ließ die Brocken, die man ihr zuwarf, nun unbeachtet. Als jedoch einer der gräflichen Jagdgehilfen auf sie zukam und ihr ein Stück Wurst vor die Nase hielt, schnappte sie zu.
Zuerst glaubte Klara, es hätte der Wurst gegolten. Doch da schrie der Mann voller Schmerz auf. »Das Weib beißt mir die Finger ab!«
Er versuchte, seine Hand loszureißen, doch Martha ließ nicht locker. Schließlich mussten zwei seiner Kameraden die Kiefer der jungen Frau mit einem Messer auseinanderstemmen, um seinen Zeige- und Mittelfinger freizubekommen.
Voller Wut holte er mit der anderen Hand aus und schlug zu. Den ersten Hieb nahm Martha noch mit einem zornigen Fauchen hin, doch als seine beiden Kameraden mit auf sie einprügelten, schrie sie, als stecke sie am Spieß. Aber die Kerle ließen erst von ihr ab, als sie schluchzend am Boden lag.
»Gut gemacht, Männer!«, lobte der Graf und streckte einer Bäuerin seinen leeren Krug hin. »Füllen, und zwar rasch!«
Die Frau gehorchte so hastig, als stände jemand mit der Peitsche hinter ihr. Einen Augenblick lang überlegte Klara sich, ob sie den Frauen nicht eines ihrer Mittel zukommen lassen sollte, die abführend wirkten. Nach einem Blick auf den Grafen gab sie diesen Gedanken wieder auf. Sie hielt ihn für fähig, sich an allen Dorfbewohnern auf hinterhältige Weise zu rächen.
Sie brachte nur ein paar Bissen herunter und steckte den Rest des Brotes und der Wurst in ihre Tasche. Nun musste sie einen Ort finden, an dem sie übernachten konnte. Ihr nächstes Ziel lag zu weit entfernt, um es noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen zu können. In diesem Dorf aber wollte sie nicht bleiben, denn der Graf verkündete eben lautstark, dass er mit seinen Jägern und Treibern hier nächtigen würde. Bei dem Gedanken, erneut im Wald schlafen zu müssen, kam Klara der Bär in den Sinn. Dieser würde gewiss auch vor ihr nicht haltmachen.
Unschlüssig, was sie tun sollte, überhörte Klara beinahe, wie der Graf die Dörfler aufforderte, ihm genug Honig zu bringen, um die Gefangene von oben bis unten damit einschmieren zu können. Einige Frauen schlurften missmutig in ihre Häuser und kehrten mit kleinen Töpfen und Krügen zurück. Graf Benno ließ alles in einen Eimer schütten und war erst zufrieden, als dieser beinahe überlief.
»Jetzt können wir aufbrechen«, rief er und befahl einigen seiner Männer, ihm in den Sattel zu helfen. Während er voranritt, zerrten seine Jagdgehilfen die Gefangene hoch. Martha war so zerschlagen, dass sie kaum mehr gehen konnte. Daher schleiften die rüden Kerle sie wie einen Sack mit sich. Ihnen folgten nur wenige Treiber, und so drehte einer der gräflichen Bediensteten sich um.
»Was ist los mit euch? Seine Erlaucht will, dass ihr zuseht, wie die Hexe bestraft wird!«
Leise vor sich hin schimpfend, setzten die Bewohner sich in Bewegung, und Klara befand sich auf einmal mitten unter ihnen. Sie konnte gerade noch ihr Reff auf den Rücken nehmen, bevor es umgestoßen wurde, und wurde vorwärtsgeschoben. Unterwegs überlegte sie mehrfach, sich in die Büsche zu schlagen und in die Nacht hinein zu wandern, bis sie das Nachbardorf erreicht hatte. Wenn sie sich jedoch durch die Menge drängte und eine andere Richtung einschlug, fiel sie den Männern des unangenehmen Grafen mit Sicherheit auf. Diese würden sie wahrscheinlich mit Gewalt zwingen, dem Schauspiel zuzusehen, das Graf Benno veranstalten wollte.
Nach einer Weile erreichte der Zug den Waldrand und kam kurz darauf an einem kleinen See vorbei, der halb von Schilf bedeckt war. Auf einer Wiese direkt am See blieb der Graf stehen. In der Abenddämmerung schwarz wirkende Blutflecken im Gras zeigten an, dass an dieser Stelle seine Schafe den Tod gefunden hatten.
Mit einer herrischen Geste wies Graf Benno auf einen Baum am Waldrand. »Bindet die Hexe dort fest! Doch vorher zieht ihr die Kleider aus. Der Bär soll frisches Fleisch schmecken, wenn er zubeißt, und keine stinkenden Lumpen.«
Lachend folgten seine Männer dem Befehl und fetzten Martha Kleid und Hemd vom Leib. Die Gefangene hatte nicht mehr die Kraft, sich zu wehren. Mit dem nur halb zugeschwollenen
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