Die Wanderapothekerin: Alle Teile des Serials in einem Band (German Edition)
schlagen würde.«
»Ein Bär?«, rief Klara überrascht. »In dem Dorf, in dem ich vorhin war, hieß es, eine Seuche habe die Schafe des Grafen dahingerafft.«
Die Magd winkte verächtlich ab. »Ach, die da drüben! Die haben doch nicht alle fünf Sinne zusammen. Natürlich war es ein Bär! Ich habe die gerissenen Schafe mit eigenen Augen gesehen. Ein ganzes Dutzend hat er umgebracht, und von allen nur die Leber und andere Innereien gefressen. Schon morgen kann er wiederkommen, und er ist stark genug, um selbst die Stalltüren aufzubrechen. Die Berta sagt, auch Stahl und Eisen könnten ihm nichts anhaben, weil es ein Geisterbär wäre. Dieses Ungeheuer hat die Martha herbeigerufen, nachdem der Herr Graf ihren Vater hat aufhängen lassen. War auch ein wenig hart, die Strafe! Es war ein einziger Hase, und den hat der Damian nur deshalb mit der Schlinge gefangen, weil der Herr Graf ihm den Lohn für die Holzarbeit nicht hat zahlen wollen.«
Der Bericht der Magd erschütterte Klara. Wie es aussah, war der eigentliche Schuldige der Graf von Güssberg, der in seinem Territorium nach Gutdünken herrschte und sich dabei nicht um Gesetz und Ordnung scherte, deren Beachtung er von seinen Untertanen rücksichtslos einforderte. Sie nahm sich vor, rasch weiterzuwandern, musste aber erst einmal die Neugier der Magd und der anderen Frauen befriedigen, die sich inzwischen zu ihr gesellt hatten.
»Wer bist du, und wo kommst du her?«, wurde sie gefragt.
»Ich bin die Schneidt-Klara aus Königsee und bin vom Laboranten Just geschickt worden, seine Arzneien hier zu verkaufen«, erklärte Klara.
»Du hast Medizin! Auch für das Vieh?«, fragte eine Bäuerin.
Klara nickte. »Die habe ich!«
»Dann brauche ich was. Vielleicht hilft es auch gegen den Bären. Die Salben riechen doch stark. Womöglich vertreibt ihn das. So ein Bär hat doch eine empfindliche Nase, sonst würde er den Honig nicht so weit wittern!« Die Bäuerin hielt Klara am Reff fest und zerrte es ihr fast von den Schultern.
»Wollen wir nicht hineingehen?«, fragte Klara.
»Wir können unseren Handel genauso hier machen. Die anderen werden auch etwas kaufen wollen«, antwortete die Bäuerin und fragte Klara, was sie alles bei sich habe.
»Ich habe es hier auf dem Zettel stehen«, erklärte das Mädchen und reichte der anderen ein Blatt.
Diese starrte verständnislos darauf und gab es zurück. »Sag bloß, du kannst lesen?«
»Aber ja! Bei uns können das fast alle. Nur die ganz Alten nicht, weil es in ihrer Jugendzeit noch keine Schule gegeben hat.«
»Mit einer Schule dürfen wir unserm Herrn Grafen nicht kommen. Der würde uns die Löffel so langziehen, dass wir aufpassen müssten, nicht darauf zu treten. Die Leute sollen arbeiten, sagt er, und nicht ihre Zeit mit solchem Unsinn verschwenden.« Die Frau seufzte tief. Da die Menschen hier nicht lesen lernen durften, konnte niemand von ihnen mehr werden als ein einfacher Knecht oder eine Magd.
Klara begriff, dass diese Aussichtslosigkeit die Bewohner bedrückte. Dagegen aufzubegehren, war jedoch unmöglich, denn der Graf verfügte über alle Macht in seinem kleinen Ländchen. Wie er diese auszuüben gedachte, hatte er mit der Hinrichtung des Holzarbeiters bewiesen. Nun mussten die Männer in seinem Residenzort mithelfen, die angebliche Hexe Martha zu verfolgen.
Um nicht zu lange in diesem Dorf bleiben zu müssen, setzte Klara ihr Reff ab und begann, den Dörflerinnen ihre Salben und Essenzen zu verkaufen. Sie musste ihnen jedoch die Anweisungen, wie diese zu gebrauchen waren, vorlesen und konnte nur hoffen, dass ihre Worte im Gedächtnis der Bäuerinnen blieben.
Innerhalb einer Stunde machte sie ein gutes Geschäft und wurde von einer der Frauen auch noch zum Essen eingeladen. Das Knurren ihres Magens brachte sie dazu, gegen ihr Gefühl zu handeln, das sie drängte, sofort weiterzugehen.
»Ich danke dir«, sagte sie und reichte der gastfreundlichen Frau ein Töpfchen Jerusalemer Balsam, der bei kleineren Wunden Entzündungen verhindern konnte.
Die Frau lächelte so erfreut, dass Klara ein schlechtes Gewissen bekam. Für den Gegenwert dieses Salbenkleckses hätte sie in einem Gasthof nicht einmal eine Schüssel Eintopf erhalten. Hier hingegen wurde ihr eine dicke Graupensuppe und hinterher ein schönes Stück Rauchfleisch vorgesetzt, und zum Trinken erhielt sie Bier, das die Frau, wie sie stolz verkündete, selbst gebraut hatte.
»Das darf man hier nicht laut sagen«, setzte sie mit einem Augenzwinkern
Weitere Kostenlose Bücher