Die Wanderhure
Gaugraf von Rheinburg.«
»Wird der Magister dein Geschäft übernehmen?«, fragte Meister Jörg spitz.
Meister Matthis gab sich gelassen. »Ein paar Jahre werde ich es wohl noch selbst führen können. Danach wird man sehen.«
Als Ruppert zurückkehrte, war sein Gesicht zornerfüllt. Er blieb vor dem Hausherrn stehen und sah auf ihn herab wie auf ein widerliches Insekt. »Matthis Schärer, Ihr seid ein elender Betrüger! Ihr habt mir eine tugendsame Jungfrau zur Ehe angeboten. Dabei ist Eure Tochter eine widerwärtige Metze, die es schon mit unzähligen Männern getrieben hat.«
Der Einsturz des Hauses hätte keine stärkere Wirkung auf die vier Männer ausüben können als diese Anschuldigung. Jörg Wölfling und Meister Gero sahen sich schockiert, aber auch mit einer gewissen Schadenfreude an, während Momberts Blick verwirrt zwischen seinem Schwager und dem Magister hin- und herirrte. Der Hausherr selbst hob mehrmals zum Sprechen an. Der reichlich genossene Wein lähmte jedoch seine Zunge, und er vermochte die Tragweite der Anklage nicht zu erfassen.
»Da hat man Euch einen Sack voll Lügen erzählt, Schwiegersohn. Für meine Tochter lege ich meine Hand ins Feuer …«, brachte er schließlich heraus.
»… und würdet sie Euch verbrennen. Ich habe einen Zeugen, der beschwören kann, dass das der Wahrheit entspricht.«
Jetzt drang in Meister Matthis’ umnebelte Sinne ein, dass es dem Magister mit seiner Anschuldigung ernst war, und er schlug wütend auf den Tisch. »Ruft den Schurken herauf, damit ich ihm seine Verleumdung in den Hals würgen kann!«
Auf einen Wink des Magisters verließ Linhard den Raum und kehrte wenig später mit einem kräftig gebauten Mann mittleren Alters zurück, der die derbe Kleidung eines Fuhrmanns trug. Die hellen Augen des Mannes huschten durch den Raum und blieben auf Meister Matthis hängen.
Ruppert schob ihn zum Tisch. »Das ist Utz Käffli, ein Fuhrmann, den ich als ehrlichen und braven Mann kenne.«
»Er ist uns bekannt.« Jörg Wölflings Ton war nicht zu entnehmen, ob er sich Rupperts Urteil über den Fuhrmann anschließen wollte oder nicht.
Meister Matthis kam schwankend auf die Beine und starrte den Mann mit offenem Mund an. »Natürlich ist er uns bekannt. Er hat auch schon für mich gearbeitet. Was soll das, Utz? Was erzählst du für Lügen über meine Tochter?«
Der Fuhrmann lachte mit heruntergezogenen Mundwinkeln. »Das sind keine Lügen! Gott soll mich strafen, wenn ich nicht die reine Wahrheit spreche. Ich hätte nie etwas Schlechtes über Marie gesagt, aber ich kenne Herrn Magister Ruppertus als edlen und vornehmen Mann, den ich nicht ins Unglück rennen lassen möchte.«
Der Leinweber Gero sah den Fuhrmann erwartungsvoll an. »Hast du selbst gesehen, wie Marie von einem anderen Mann beschlafen wurde?«
»Ich selbst habe sie schon etliche Male besessen.«
»Du Schuft! Du ehrloser Verleumder! Wie kannst du es wagen …« Meister Matthis stieß einen Laut unmenschlicher Wut aus und versuchte, seine Hände um den Hals des Fuhrmanns zu legen.
Ruppert stieß ihn mit einer fast beiläufigen Bewegung zurück. »Auch wenn es Euch nicht gefällt, Schärer, will ich die Wahrheit wissen. Sprich ruhig weiter, Utz. Die ehrenwerten Herren Meister, die als Zeugen unterschrieben haben, möchten ebenso gerne erfahren wie ich, was es mit Meister Matthis’ Tochter auf sich hat. Hat sie sich dir tatsächlich hingegeben?«
»Nicht nur mir. Ich weiß von einigen anderen, die mit ihr geschlafen haben«, versicherte der Fuhrmann eifrig.
»Lügen, nichts als Lügen!«, schrie Meister Matthis dazwischen.
Der Fuhrmann wuchs mehrere Fingerbreit in die Höhe. »Es sind keine Lügen, Schärer. Ich kann meine Worte beweisen. Eure Tochter hat es ja nicht umsonst getan, sondern sich Geld oder schöne Dinge schenken lassen.«
»Willst du damit sagen, dass sie ihren Körper verkauft hat wieeine Hure?« In Magister Ruppertus’ Stimme schwang so viel Abscheu und Ekel mit, dass er die anderen Männer ansteckte.
Utz zuckte mit den Schultern. »Nun ja, beim letzten Mal habe ich ihr einen Schmetterling aus Perlmutt geschenkt, den ich aus Italien mitgebracht habe.«
Meister Matthis lachte höhnisch auf. »Meine Tochter besitzt kein Schmuckstück dieser Art.«
»Das lässt sich feststellen.« Ruppert winkte Meister Jörg und Meister Gero zu. »Meine Herren, ich schlage vor, dass wir uns in Maries Zimmer begeben und es durchsuchen. Sollte dort ein Perlmuttschmuckstück in Form eines
Weitere Kostenlose Bücher